Willenlos dem Meer überlassen

Datum: 16. Dezember 2016, (Tag 70)
Position: 14° 37,6′ N, 061° 14,5′ W
Etmal: 15 sm
Wetter: Luft 29°C, 1015 hPa, bewölkt, Wind ENE 2 Bft.
von Charlie

t_charlieSeit Tagen treiben wir nun schon manövrierunfähig auf der karibischen See zwischen Martinique und St. Lucia umher, völlig der Kraft der meterhohen Wellen ausgesetzt. Das Letzte, an was ich mich erinnern kann, ist ein großer Knall begleitet von einer riesigen Rauchwolke und dann ging gar nichts mehr. Durch regelmäßige Eintragungen in mein Logbuch weiss ich, dass es drei Tage her ist, dass wir Kontrolle über das Schiff hatten. Seitdem heisst es Proviant einteilen und mit dem wenigen Wasser, was wir für Notfälle an Bord haben, auskommen. Aber fünf Flaschen Wasser für ehemals über 30 Besatzungsmitglieder sind jetzt nicht viel. Seit Tagen gilt also hier „Survival of the Fittest“. Leider sind dadurch einige von uns der See zum Opfer gefallen, als sie versucht haben, wenigstens etwas Salzwasser zu erhaschen.

Fünf von uns haben überlebt, und diesem verlassenen Grüppchen bleibt jetzt nichts anderes übrig, als zu warten und zu hoffen, dass irgendwann Hilfe kommt. Aufgeben wollen wir noch nicht, aber mit jedem Tag, der vorüber zieht, schwindet die Hoffnung. Vermindernd kommt hinzu, dass wir zwar Schiffe sehen und diese dann auch anfunken könnten, wenn sie in unserer Nähe sind, aber durch ein fehlendes AIS an Bord sieht UNS leider keiner. Zum Glück haben wir noch Strom an Bord. Nicht nur sehen wir so, was wir machen und wo wir hintreten können – die Wellen lassen hier einiges umher purzeln – nein, auch unsere Toplichter gehen noch und das steigert unsere Chancen enorm von einem Schiff gesehen zu werden. So vertreiben wir uns also die Zeit mit Karten spielen, Rum trinken und Warten…vor allem das Warten wird immer mehr zu einer Zerreißprobe.

Doch dann … ganz plötzlich piepte etwas von der Brücke. Unser Radar zeigte etwas n… was ist das? Das ist ein Punkt auf dem Radar, da kommt was. Sollten wir etwa doch noch gerettet werden? Der Funkruf bestätigte es. Es nähert sich uns ein Segelschiff aus Deutschland. Sofort fiel eine Last von unseren Herzen. In gut einer Stunde sind sie da, meinten sie … sie wollen nur noch eben zu Abend essen und dann würden sie alles einleiten, um uns zu helfen. Das schaffen wir. Schnell noch einen Schluck auf dieses Wunder.

Und dann sehen wir es auch. Majestätisch glitt es mit seinen vier gesetzten Segeln durch die karibische See. Immer näher kamen die Toplichter dieses wunderschönen und geschmeidigen Schiffes. An Bord 35 erfahrene Seeleute und eine Azubine, die augenscheinlich versuchte zu helfen, wo sie konnte, aber in solch einer Situation sich dann doch lieber der Dokumentation des anstehenden Manövers widmete. Sie waren auf dem Weg nach Grenada, doch für uns machen sie nun einen Umweg, änderten in dem Moment, wo unser Hilfefunk rein kam, ihren Kurs – für die erfahrene Rudergängerin Claire anscheinend kein Problem. Jedenfalls sah es so aus, als ob sie den ganzen Tag nichts anderes machte. Vielleicht half ihr aber auch die Vormittagsübung des Halse- und Wendefahrens … so hörte man es jedenfalls von der See flüstern. Hätten sie sich bestimmt auch nicht träumen lassen, dass sie heute Nacht noch zu Helden werden würden.

Nach gut einer Stunde nach dem ersten Funkverkehr, für uns nach gefühlten zehn Stunden, näherten sie sich von Steuerbord in Luv, sodass sie, unterstützt von Wind und Strömung, immer näher an uns herantrieben. Leider trug sie das Wasser im ersten Anlauf an unserem Schiff vorbei, sodass sie unter voller Motorkraft zurücksetzen mussten. In Theorie soweit schön und gut, aber durch die Strömung hätten wir dem Kapitän per Handschlag danken können, dass sie uns gefunden haben. In letzter Sekunde und wirklich um Haaresbreite zog ihr Heck an unserem Bug vorbei, als sie wieder volle Kraft voraus gingen. Gleichzeitig kam hinzu, dass sie zwar versuchten eine Wurfleine, an der dann die Schleppleine befestigt war, zu werfen, diese aber irgendwo hinschoss, so dass sie gleich eine zweite hinterher warfen. Da löste sich dann der Knoten, so dass ein dritter Anlauf durchgeführt werden musste.

Und wie sagt man bekanntlich …“alle guten Dinge sind drei“. Es klappte. Langsam zogen wir an der Wurfleine und erreichten somit die etwas zu kurz geratene Schleppleine und werden dank dieser nun von der Johann Smidt nach St. Lucia geschleppt.

Hätte mir jemand gesagt, dass mich mal ein deutsches Segelschiff abschleppt, ich hätte es nicht geglaubt. Schaue ich aber von der Brücke recht voraus, so sehe ich es vor mir. Jetzt wo alle Leinen halten und der Rum an Bord sich auch dem Ende neigt, werden wir es der jungen Seemannschaft – unseren Helden des Tages – gleich tun und uns zur Ruh begeben. Wenigstens immer vier von uns, einer wird so gut es geht, hinterher steuern. In diesem Sinne euch allen eine Gute Ruh und bis morgen. Es grüßt die
Charlie

TO BE CONTINUED…

P.S.: Claire grüßt ihre Familie.
P.P.S.: Tessa grüßt die Gäng.