Die kleinen Dinge

Datum: 1. Mai 2017 (Tag 207)
Position: 49° 36,9’ N, 002° 54,7’ W
Etmal: 157 nm
Wetter: Luft 10°C, 1003 hPa, bedeckt, Wind WSW, 7 Bft.
von Manuel

t_manuelEs sind nicht nur die großen Dinge wie z.B. „kein Ozean mehr um mich rum“, die den Unterschied ausmachen werden. Sondern gerade auch Sachen wie…

Nicht mehr morgens um sieben mit einem fröhlichen „Guten Morgen! In einer halben Stunde gibt’s Frühstück!“ geweckt werden. Stattdessen macht es wieder „bi-bip-bi-bip-bi-bip“. Oder eben gar nichts. Und wenn gar nichts, dann erst recht nicht um sieben. Das, zumindest, hat seine Vorteile.

Die stille Minute zu Beginn jeder gemeinsamen Mahlzeit.
Die Schätzungen über die Gesamtdauer aller stillen Minuten der Reise variieren zwischen acht und zehn Stunden. Ich bin ein großer Freund der stillen Minute und habe vor, die Tradition zuhause fortzusetzen. Das geht nicht nur bei gemeinsamen Mahlzeiten, sondern auch allein.

Keine Steuermänner mehr, die sich bei Tisch kritisch über den Zustand der Butter, des Tees oder der Schlachterplatte äußern. Ganz einfach deshalb, weil an meinem Tisch in Zukunft eher wenige Steuermänner sitzen werden. Für die Butter, den Tee und die Schlachterplatte bin ich dann wieder selbst verantwortlich.

Meine Getränkebecher werden nicht mehr so entgegenkommend sein. Heute war es wirklich gemein. Die ganze Zeit hatte ich beim Frühstück meinen Kaffeebecher fest in der Hand. Dann flog ein Marmeladenglas auf mich zu, reaktionsschnell griff ich zu und fing ich es auf – und statt des Applauses des Publikums ergoss sich der Milchkaffee auf mich.

Morgens werde ich nicht mehr als erstes auf die Brücke gehen, um mir einen Überblick über Wetter, Position und Geschwindigkeit zu verschaffen. Stattdessen überprüfe ich Inhalt von Brottopf und Kühlschrank. Gut, das Wetter, dem werde ich auch weiterhin Beachtung schenken.

Mein Unterricht wird nur noch selten durch „All Hands“-Rufe unterbrochen werden. Und wenn, dann wird das nicht Amira sein, die da „All Hands an Deck!“ schreit, sondern ich selbst, weil ich Entzugserscheinungen habe. Dann wäre es schön, wenn meine Schüler, um mir eine Freude zu machen, krängungssimulierend von ihren Tischen und Stühlen rutschten und wir uns alle krampfhaft an irgendetwas festhielten, bis das Schulgebäude wieder gerade steht.

Der Duschkopf wird sich nicht mehr von mir wegdrehen, wenn ich mir gerade das Shampoo aus den Haaren waschen will. Stattdessen wird es der heimatliche Duschkopf unverrücklich, zuverlässig und ein bisschen langweilig auf meinen Kopf herabregnen lassen, bis ich ihn abdrehe.

Ich werde sie vermissen, die kleinen wie die großen Dinge. Einige mehr, einige weniger, nicht täglich und sofort, aber manchmal und irgendwann.
Manuel

P.S.: Viele Grüße an Annette, Hartmut, Klaus, Moni, Mladen: Unsere Ankunft wird sich möglicherweise verzögern. Ich gebe über meine neue Ankunftszeit Bescheid, sobald ich sie weiß. Abholung am Bahnhof und das in Aussicht gestellte Glas Wein wären, ob pünktlich oder verspätet, in jedem Fall schön.
Viele Grüße auch an die Q12 und viel Erfolg beim Mathe-Abitur!

All along the shrimp

Datum: 28. März 2017 (Tag 172)
Position: St. George’s, Bermuda
Etmal: –
Wetter: Luft 23°C, 1016 hPa
von Manuel

t_manuelDie Insel Bermuda ist, alles in allem, shrimpförmig. Eigentlich ist es ein zerstückelter Shrimp, aber die wichtigsten Teile sind durch Brücken aneinander geklebt. Der ganze Shrimp hat etwa eine Länge von zwei Stunden, mit dem Bus. Heute haben wir ihn mit öffentlichen Verkehrsmitteln komplett bereist. Zuerst fuhren wir von St. George’s, dem Kopf des Shrimps, nach Hamilton, dem Bauch. Hamilton, die Hauptstadt Bermudas, ist ein angenehmes Städtchen mit hübschen Parks und netten Läden, in denen man in kurzer Zeit eine Menge Geld ausgeben kann. Aber das gilt eigentlich für den ganzen Shrimp. Dafür, und das muss ja auch mal positiv angemerkt werden, gibt es überall saubere, kostenlose öffentliche Toiletten. Wenigstens da kann man Geld sparen. Nach dem Besuch der Restaurants und Läden hat man ohnehin keins mehr.

Von Hamilton nahmen wir die Fähre nach Dockyard, der Shrimp-Schwanzflosse. Am Rande der dortigen Festungsanlagen trainieren zurzeit die Segelteams der einzelnen Nationen für den America’s Cup, der Ende Mai beginnt. Die eindrucksvollen High-Tech-Yachten hatten sich allerdings gut in ihren Schuppen versteckt. Lediglich von der japanischen Yacht war ein (verpackter) Mast zu erkennen. Mangels Yachtpracht nutzte ich die Zeit in Dockyard dazu, ein äußerst geschmackloses „I survived the Bermuda Triangle“-T-Shirt zu einem sehr günstigen Preis zu erwerben. Von Dockyard ging die Fahrt immer entlang der Küste – man kann auf Bermuda kaum anders als an der Küste entlang fahren – zur Horseshoe Bay. Sie liegt ungefähr dort, wo sich beim Shrimp das leckere rosa Shrimpfleisch befindet. Konsequenterweise ist der Sand der Bucht leicht rosa. Was für ein Strand! Dass uns nach vielen Wochen in der Karibik und in Mittelamerika ein Strand noch so begeistern kann, will schon etwas heißen. Feiner Sand, türkisfarbene Wellen, die sich an großen Felsen brechen – da macht es nichts, dass das Wasser nicht mehr die gewohnte Badewannentemperatur hat, sondern nur noch vielleicht 22 oder 23 Grad.

Danach hieß es, mit dem Bus (die Busse sind übrigens auch rosa) zum Shrimpkopf bzw. zum Schiff  zurückzukehren, wo uns die Backschaft ein leckeres Essen zubereitete mit – na was wohl? Reingefallen! Keine Shrimps, sondern Hamburger. Shrimps können wir uns hier nur als Inselrundfahrt leisten.
Manuel