Der Atlantik fordert seine Opfer

Datum: 3. Dezember 2016, (Tag 57)
Position: 19° 44’ N, 054° 0’ W
Etmal: 99 sm
Wetter: Luft 26°C, 1014 hPa, sonnig, Wind NE 3 Bft.
von Gertraud

navigare1Neben all den anderen Schulfächern gibt es auch Physikunterricht an Bord der Johann Smidt – und einen guten solchen! Jedoch scheinen sich die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse in einer solchen „remote area“ wie dem Schiff, noch nicht gänzlich in die Praxis umgesetzt zu haben: Beim Segeln schon, aber bei den Gesetzen der Schwerkraft, der schiefen Ebene oder der fortgeleiteten Bewegung, scheinen auf dem Weg von der Greiffunktion der Hand über das zentrale Nervensystem und zurück die Bahnen mit zahlreichen hemmenden Botenstoffen gespickt zu sein. Wie könnte man sonst erklären, dass von vormals in Fülle vorhandene Trinkgefäße, wie Tassen (hier liebevoll Muggen genannt) oder kristallgeformte Trinkgläsern oder auch die hübsch anzuschauenden schneeweissen Teller, nur noch in etwas kläglicher Menge einsam in den Borden stapeln. Es ist förmlich eher Jammern zu hören, nach den verschwundenen Teller- und Tassengenossen….Nun denn, in dieser Situation sind jetzt Kreativität, Ästhetik, Geschicklichkeit und Kunst-„Art „gefragt, und dies mit allen Sinnen:

Nicht einfach nur Zweckentfremdung von Marmeladengläsern, das rasche Auslöffeln von Nougatbehältnissen oder Erhöhung des Leberwurstkonsums wegen der Schwerpunktverlagerung dieses Glases zur Eignung als  künftigen standsicheren Pokal sind hier gefragt, sondern hier werden an die jungen Smidt-Künstler künftig hohe Anforderungen gestellt, zumal sie jetzt schon die Neptun-Taufe erleben durften. Sie könnten zum Beispiel Kabadosen verschönen zu Dali-ähnlichen Trinkpokalen (Dali ist jener spanische Künstler, mit den für ihn charakteristischen Uhren, die sich, als zähfließende Masse über Kanten ergießen), zumal dann auch die Trinkgewohnheiten, in physikalischer Hinsicht, ganz spektakuläre Züge annehmen würden, nämlich schräg nach oben über die gerundete Kante der Dose. Oder sie könnten abgeschnittene und gefeilte Plastikflaschenhälse als Stielglas mit stumpfem Stiel zum Patent anmelden – eine dänische Designerfirma fände sich bestimmt, das Projekt in die Tat umzusetzen. Und danach industriell gefertigt, könnte ein Renner aus dieser Idee werden, was auch im Hinblick auf Taschengelderhöhung aus den Gewinnanteilen, die anfielen, einen interessanten Aspekt böte.

Eine weitere Idee wären die stylischen Suppenkellen an Bord, die, gefüllt mit Kujambel, die Feinmotorik phantastisch trainieren würden und damit wiederum die Geschicklichkeit anregten, die dann den produktiven Kreis der künstlerischen Aktivitäten erneut positiv ankurbeln könnten…Ausserdem wirkt eine solche Trinkweise nicht nur dem hastigen Trinken entgegen, es würde eine fast schon meditative Art des Trinkens kreieren! Und noch eine letzte Anregung: Der gute alte Trinkbeutel: In den Gefrierschränken stapeln sie sich und fristen ein trauriges Dasein in der Kälte, bis sie lieblos irgendeinem Wasser- oder Saftgetränk zugefügt werden – warum nicht gleich sie mit bunten Strohhalmen und Bändern versehen und wie in früheren Zeiten die Berber daraus karibische Eisgetränke schlürfen – vermarktet, der karibische Novemberhit 2016!

Also – Phantasie ist angesagt, und wenn es jetzt noch gelänge, die neuen Becher, Tassen oder Kleinkrüge mit dem Flüssigkeitsspiegel an das Kränkungspendel anzupassen, dann wäre das ein richtiges Meisterwerk! Wie schreiben die Franzosen so schön in einem der Französischlehrbücher: „Seulement en forgeant on devient forgeron“ (frei übersetzt „nur die Übung macht den Meister „, wörtlich:“ Nur durchs immer wieder schmieden, wird man Schmied“). Da wir aber bald die karibische Insel Martinique anlaufen, wo es soooo ernsthaft nicht zugeht, noch etwas zum Schmunzeln: Ein Karibense würde eine gebrauchte Dose einfach erneut füllen, und wenn der Durst gelöscht ist, sie flugs in ein Musikinstrument verwandeln – und da sind wir wieder bei der Phantasie! Mit freundlichen Grüßen,
Gertraud