Verflixt und Zugenäht

Datum: 3. April 2017 (Tag 178)
Position: 30°5 9,5′ N, 054° 00,9′ W
Etmal: 157 nm
Wetter: Luft 20°C, 1014 hPa, wechselhaft, Wind WNW 5 Bft.
von Carlo

carlo5°, 10° – Verdammt nochmal! Wie soll ich denn so meine Schuhe anziehen?
15°, 20° – Ich will nur aufs Klo, nicht gegen jeden Zentimeter Wand schlagen. Und die Tür muss doch irgendwie aufgehen.
25°, 30° – Jetzt reicht’s!!! Keinen Bock mehr auf die Scheiße! Ich will doch nur in den Maschinenraum. Es kann doch nicht angehen, dass ich 5 Versuche brauche, bis ich die Tür aufmachen kann. Und langsam habe ich auch keine Arme mehr vom festhalten.
35° und <  – Ok, bin ich grade wirklich trotz Leebrett aus der Koje gefallen??? Was? Waaaaas?! Meine Ohren tun weh, von dem verzweifelten Geschrei aus der Kombüse. Ich fühle mich wie gelähmt. Rien ne va plus.

Ich weiss, es gibt  bestimmt schon Dutzende Tagesberichte über Seegang. Aber das, was uns in den letzten Tagen widerfahren ist, ist komplett neu. Im Puma-Käfig hebt man bei entsprechenden Wellen ab!!! In den Kammern sind die Böden voll mit Kram und Arbeiten im Maschinenraum grenzen schon an Wunder. Und da ja beide Warmwasserboiler, die automatische Wellenschmierung, Wellendrehzahlanzeige, Wassermacher, sowie der Stop, als auch der Startknopf der Hauptmaschine kaputt sind, gibt es da unten reichlich zu tun. Aber keine Sorge: Wir leiden keine Not und mit einem Diebestrick können wir auch die Hauptmaschine starten. Wir müssen einfach nur die Sicherung des Anlassers umgehen und ihn mit einem Stück Kabel kurzschließen. Auch mal spannend.

Ansonsten kommen wir recht gut voran. zwischen 5 und 10 Knoten. Gestern haben wir noch das Groß geborgen und und stattdessen das Trysegel gesetzt (Sturmsegel). Bisher lässt das erwartete Starkwindfeld allerdings auf sich warten. Deswegen haben wir beschlossen eine Halse zu fahren, da wir inzwischen schon etwa 100sm südlicher als Bermuda sind und das ja nunmal nicht ganz die richtige Richtung ist. Jetzt fahren wir aber wieder Kurs NO direkt auf Horta zu, was die Laune aller Crewmitglieder deutlich hebt.

Und trotz den ganzen schlechten Nachrichten, habe ich jetzt noch eine gute/schlechte: Aufgrund von Seegang und komischer Haltung im Maschinenraum, ist mein Nacken auf das übelste verspannt. Und weil ich dadurch schon eingeschränkt bin, hat mir unser lieber Onkel Doktor, der passender Weise Orthopäde ist, Nackenmassagen verordnet. Ja Leute, der Arzt hat es gesagt. Ich will gar nicht massiert werden, aber leider, leider muss ich. ;( Bis dahin alles Gute nach Alemannia. Und ich grüße meine Familie und besonders meine Oma, die wohl die interessierteste Blogleserin aller Zeiten ist.
Euer Carlo

P.S.: Claire wünscht Leonie alles Gute zum Geburtstag…
Johanna grüßt Raggi und den Rest ihrer Familie und natürlich auch den coolsten Hund der Welt, Bialy.

The Irrelevance of Time

Datum: 14. März 2017 (Tag 158)
Position: 23° 42,3’ N, 082° 13,5′ W
Etmal: 136 sm
Wetter: Luft 27°C, 1016 hPa, wechselhaft, Wind N, 4-5 Bft.
von Carlo

carloNach 5 Monaten liegen uns jetzt nur noch 2 Monate bevor. Wir befinden uns jetzt ja bekanntlich schon auf dem Rückweg zwischen Kuba und Freeport auf den Bahamas. Auch wenn es so geplant war aus Zeitgründen, die Bahamas doch nicht anzulaufen, müssen wir nun doch einen kleinen Umweg auf dem Weg nach Bermuda fahren. Dies ist auf den großen Durst unserer Unterwassersegel zurückzuführen, da sich in den vergangenen Tagen der Wind nicht oberhalb von Neptuns Reich zeigen wollte. Jetzt will der Wind zwar wieder und zwar gar nicht schlecht, aber die letzten Tage bestanden aus einem ständigen Segelsetzen, Segelbergen, ein anderes Segel setzen, das dann wieder bergen, ein Weilchen mit Unterwassersegel fahren und dann wieder Segel setzen und dann wieder von vorne 🙁 .

Aber genug von schlechten Nachrichten: Manuel, unser lieber Mathelehrer, hat sich, wohl als er sich Formeln und Methoden ausdachte, um arme Kinder zu ärgern, und dadurch nicht ganz bei der Sache war, auf seine Brille gesetzt. Die ist, wie es nicht anders hätte kommen können, an beiden Gelenken gebrochen. Manuel war dann seeeeehr traurig, aber ein fantastischer, wirklich toller Schülermaschinist hat seine Brille vorbildlich in harter, stundenlanger Filigranarbeit mit Kaltmetall repariert. Sie sieht fast wie neu aus und Manuel ist jetzt wieder seeeeeehr glücklich.

Und noch eine kleine Geschichte: Gestern auf unserer Nachtwache hatten wir einen großen, blinden Passagier. Nein, nicht Manuel, weil seine Brille noch kaputt war! Ein bisher noch nicht genau identifizierter Vogel mit etwa 1m Spannweite hat trotz ordentlicher Schräglage des Schiffs, wie kardanisch aufgehängt auf unserem Backbord-Davit (Kran fürs Beiboot) geschlafen!!! Klaus, mein Steuermann, war davon sehr fasziniert und hat ein Bild gemacht und ihn beobachtet.

Ok, zurück zum wichtigen Zeug: Die Zeit! Von Anfang an (in Hamburg) haben wir uns immer gedacht, wenn wir mal über den Atlantik sind … aber das ist ja noch so lange hin. Dann haben wir uns gedacht, wenn wir mal auf Kuba sind … aber das ist ja noch so lange hin. Jetzt liegt Kuba schon bereits ein paar Tage hinter uns und wir sind bereits näher an den Florida Keys, als an Kuba. Wir haben heute sogar von ein paar Amis der US-Coast-Guard Besuch bekommen. Die haben sich bestimmt gedacht, dass wir ganz verdächtig sind, weil wir aus Kuba kommen und sind deshalb mit einem großen Propellerflugzeug in etwa 100m Höhe über uns drüber geflogen. Mit inzwischen nur noch etwa 40 Seemeilen Abstand zu Marathon in Florida und nur noch 70 nach Miami kann ich es ihnen aber auch nicht verwehren. Hier in der Straße von Florida herrscht reger Schiffsverkehr. Das ist, auch wenn ihr es schwer glauben könnt, wirklich eine ungewöhnliche Tatsache, da wir eigentlich seit Teneriffa und dem letzte Tag vor Colon sehr wenige Schiffe gesehen haben. Naja, jetzt sind wir von dicken Tankern in der 250-Meter-Plus-Klasse umzingelt. Ist aber auch interessant und gut zu wissen, dass schnell jemand da wäre, falls wir ein Problem hätten.

Um wieder zur Zeit zurück zu kommen: Jetzt liegen ja nur noch etwa 8 Wochen vor uns und die Zeit ist im Rückblick so wahnsinnig schnell vergangen. Mir kommt es so vor, als  wären wir gerade erst auf Grenada losgefahren, um zu den Kuna-Indianern zu fahren. Ich weiß nicht, ob ich mich freuen soll, obwohl das Verlangen nach gewissen Dingen wie einer Badewanne, einer großen Koje und so manchen kulinarischen Dingen langsam doch ein bisschen größer wird.

Ok, tut mir leid, dass ich so einen Krimskrams hier schreibe, aber immer wenn ich wieder was über mein eigentliches Thema, die Zeit schreiben will, fällt mir wieder was anderes ein. Ich beende diesen Tagesbericht mit der neusten Nachricht des Tages: Abgesehen davon, dass wir mit !!!8 Knoten segeln!!!!, ist Bishals Wasserflasche kaputt!!! Sie ist kaputt!!! Einfach runtergefallen und gebrochen!! Bishal erkenne es doch endlich. Sie ist kaputt. Du kannst nichts mehr für sie tun!! Ach und für alle die, die sich Fragen, was ein Unterwassersegel ist: Die Hauptmaschine. Ich grüße noch meine lieben Hauptstädter und wünsche meiner Oma viel Spaß mit ihrem Handy.
Liebe Grüße, Carlo