Einfach, aber glücklich!

Datum: 2. Januar 2018
Position: 09°35,1’N, 078°40,9’W
Etmal: 16 NM
Wetter: Wasser 29°C, Luft 24°C, Windstärke 4
von Ly

Anmerkung der Autorin: Dieser Text enthält fiktive Elemente. Ich versuche, den heutigen Tag sowie Informationen über die Kuna in einer Geschichte zusammenzuführen. Caroline ist eine zum Teil erfundene Person! Ich hoffe, dass das für den Leser nicht zu verwirrend ist. 😉

Hallo, ich bin Caroline, ich bin 16 Jahre alt und eine Kuna. Wir Kuna leben auf den Guna Yala, die ihr unter dem Namen „San Blas-Inseln“ kennt. Zu diesen Inseln gehören so viele, dass man sagt, es gäbe für jeden Tag im Jahr eine. Es sind aber bei Weitem nicht alle dieser Inseln von uns bewohnt, im Gegenteil: Auf den meisten von ihnen sind höchstens ein paar kleine Tiere und Kokspalmen zu finden. Ich lebe mit meiner Familie auf der Isla Porvenir. Jede Insel hat einen eigenen saila (Chef), der im congreso, der größten Hütte in unserem Dorf, lebt. Im congreso treffen wir uns jeden Abend, besprechen wichtige Dinge und machen Musik. An besonderen Abenden erzählt unser saila Geschichten von unseren Vorfahren, das mag ich am liebsten! Die ewigen Diskussionen der Erwachsenen sind manchmal echt langweilig, trotzdem müssen alle dabei sein, damit die Gemeinschaft stark bleibt. Tagsüber gehe ich in unserer Inselschule, auf die auch Kinder von unseren Nachbarinseln gehen, danach helfe ich meinen Eltern im Haus und bei der Kokosnussernte.

Das Leben hier ist sehr schön, aber ich frage mich manchmal, wie das Leben woanders wäre. Gestern konnte ich einen kleinen Einblick in ein anderes Leben erhaschen: Ich bin wie jeden Tag noch vor Sonnenaufgang aufgestanden und mit meinem Vater in unserem Einbaum zu einer Insel gefahren, um dort unsere Kokosnüsse zu ernten. Schon seit dem Tag, an dem meine Vorfahren vor vielen Generationen wegen einer großen Flut aus dem Darien-Gebirge auf die Guna Yala kamen, sind Kokosnüsse unsere wichtigste Einnahmequelle. Wir bringen die Kokosnüsse nach Kolumbien und verkaufen sie dort. Bis vor einigen Jahren (1990) haben wir sie gegen Nahrung und Kleidung vom Land getauscht, aber mittlerweile verkaufen wir sie für Geld.

Auf dem Weg zu der Insel sind wir an einem großen Segelschiff vorbeigefahren. Von den Leuten aus unserem Dorf wusste ich, dass auf dem Boot 30 Schüler aus Deutschland sind, einige von ihnen waren gestern sogar auf unserer Insel. Ich fand das sehr spannend und wollte sie gerne kennenlernen. Also fragte ich meinen Vater, ob dies irgendwie möglich sei, und er meinte, dass sie heute weiter gen Osten zu den unbewohnten Inseln fahren wollen, wir ihnen aber, wenn ich will, einen Besuch abstatten könnten. Ich sagte, dass ich nichts lieber tun würde als das, und freute mich den ganzen Vormittag auf diese Begegnung. Nach dem Mittagessen war es dann endlich so weit: Vater und ich sind zur Roald Amundsen gerudert (Vater meinte, dass das Schiff so heißt, was für ein komischer Name!!). Man hörte die Jugendlichen schon von Weitem, sie sind mit einem Seil ins Wasser geschwungen und haben dabei laut geschrien und gejauchzt. Wir manövrierten unser Einbaum durch die schwimmenden Menschen und gingen dann an Bord. Dort stand ein Mädchen mit kurzen Haaren, das sich als Ly vorstellte und mich durchs Schiff führte. Das Schiff war sehr beeindruckend und dort gab es viele Dinge, die ich nicht kenne. Vor allem in dem Raum, den Ly „Kombüse“ nannte, gab es viele seltsame Geräte. Ich weiß gar nicht, wozu die das alles brauchen, wir kochen zu Hause in einem Topf über einem Feuer. Ich finde die Schlafräume besonders komisch, sie sind klein und stickig, ich könnte hier nicht schlafen. Wir schlafen zu Hause alle in einem Raum, in unseren kachi (Hängematten). Während Ly mir alles zeigte, erzählte sie mir von dem HSHS-Projekt und von dem, was sie alles schon gemacht haben und noch vorhaben. Schule an Bord klingt cool. Ich fragte sie, ob sie auch richtigen Unterricht haben und ob das auch wirklich funktioniert. Sie lachte und meinte, dass Schule hier natürlich anders ist, sie aber trotzdem viel Unterricht haben. Anscheinend haben sie heute sogar ihre erste Klassenarbeit (in Deutsch) geschrieben.

Wir gingen weiter und Ly erzählte mir mehr über all die Dinge, die sie erlebt haben. Auf dem Weg zurück aufs Deck kam uns ein Junge entgegen, der sich als Andy vorstellte und uns fragte, ob wir Lust hätten, mit ihm und einigen anderen zu der nächstgelegenen Palmeninsel zu schwimmen und diese zu erkunden. Ly war sofort begeistert und so sind wir noch einmal kurz in ihre Kammer gegangen, die besonders klein ist (6er Kammer aka Pumakäfig), um Schnorchel und Taucherbrille für sie und mich zu holen. 15 Minuten später waren wir auf der Insel und die anderen waren total begeistert von allem. „Es ist ja sooooo schön hier“, sagte Ly zu mir, „diese Insel ist der allerschönste Ort, an dem ich je war! Du hast ja so ein Glück hier zu leben!!“ Bei dieser Aussage musste ich schmunzeln, es stimmt schon: der weiße Sand, die Palmen, das klare warme Wasser, die riesigen Muscheln und der Dschungel im Inneren der Insel haben schon ihren Charme und ich habe auch wirklich sehr viel Glück, hier leben zu dürfen.

Für uns war es nicht immer selbstverständlich, hier in Frieden leben zu können. Seit die Europäer unsere Inseln im 17. Jahrhundert fanden, gab es viele Kämpfe und viel Leid. Die spanischen Eroberer wollten unsere Inseln für sich haben, aber meine Ahnen haben so tapfer gekämpft, dass 1785 schließlich ein Vertrag mit den spanischen Herrschern gemacht wurde, so dass beide Seiten in Frieden leben konnten. Aber damit war der Kampf noch nicht zu Ende! 1903 wurde die Republik Panama gegründet und wir sollten dazugehören. Das gefiel uns nicht und es wurde verhandelt und diskutiert, bis wir schließlich unabhängig waren. Das klappte nicht so wirklich, denn die Politiker aus Panama mischten sich immer noch in unsere Angelegenheiten ein und die Situation spitzte sich zu. Als dann am 21.Februar 1925 ein panamaischer Polizist auf die Kuna schoss und einen von ihnen tötete, rebellierten meine Vorfahren. Sie kämpften bis zur totalen Unabhängigkeit. Die Lage verbesserte sich nach der Rebellion und unser Verhältnis zu Panama ist immer noch sehr gut. Wir sind das einzige autonome indigene Volk in Mittelamerika. Das heißt, dass wir unsere Gesetze selber bestimmen dürfen. Darauf sind wir sehr stolz und ich finde, dass dies etwas ganz Besonderes ist! Lange Rede, kurzer Sinn: Ich habe wirklich Glück, hier so frei leben zu dürfen. Und als ich sah, wie meine deutschen Freunde sich über all das hier freuten, dankte ich meinen Vorfahren im Stillen und nahm mir vor, das besondere Leben, das ich hier lebe, noch mehr zu schätzen.
Ly

P.S.
1. Liebe Mami, ich wünsche dir von ganzem Herzen alles Gute zum Geburtstag! Bleib gesund und munter, dicker Kuss, Arthur
2. Ly grüßt alle zu Hause, ich hätt euch alle am liebsten hier neben mir am Strand. (Ich bin ab 07.01. wieder erreichbar!)
3. Grüße ins kalte Deutschland. Badespaß und Co im Tropical Island in Real, mit Besuch von Einheimischen. Perfekter Kite-Spot, schade, dass ihr das nicht auch sehen könnt; Isabelle, die euch gerne ein bisschen neidisch macht.
4. Egal wann diese Tagesmeldung rausgeht. Alles, alles Gute zum Geburtstag, Phillip, ich hoffe, du hast über Silvester schön reingefeiert! (Eike)
5. Geburtstagsküßchen an meine Lieblings-Hannah-Schwester. Ich schicke Dir per Gedankenpost ein bisschen Sonne, Insel und Palmen (aber extra ohne eklige Tiere). Deine Ketel