Unmut aus Prinzip

Datum: 28. Februar 2018
Position: 25°09,9’N, 077°19,5’W
Etmal: 159 NM
Wetter: Wasser 26 C, Luft 26 C, Windstärke 4
von Tom L

Land in Sicht! Naja, das ist nichts Seltenes, wenn man durch die Bahamas fährt. Aber als wir dann auf die Seekarte geschaut haben, wurde so langsam klar, dass wir nur noch um eine Insel herum fahren müssen und dann Nassau vor uns liegen wird. Die Insel kam also näher und näher, während wir schon darüber spekulierten, was denn diese nebligen Umrisse dort hinten in der Ferne sind. Sind das Schiffe? Nein, das müssen Hochhäuser sein! Je näher wir kamen desto mehr konnten wir erkennen: Palmen, Strand, einen Leuchtturm und … riesige Kreuzfahrtschiffe. Apropos Kreuzfahrtschiffe: Hier an Bord hat sich bei mir inzwischen ein gewisser Unmut über Kreuzfahrtschiffe etabliert. Spezielle Gründe gibt es dafür kaum, man könnte sagen, dass es sich dabei um einen „Unmut aus Prinzip“ handelt: Riesig große, weiße Kisten bzw. Städte, die von sich „behaupten“, besonders tüchtige Seefahrt zu betreiben, weil sie ihre Maschine anwerfen können! Wenn ich mir diese „Schiffe“ so anschaue, merke ich, wie viel Glück ich doch habe, auf unserer wunderschönen Roald Amundsen unterwegs sein zu dürfen, auf der wir morgens einen Kaffee unter großen weißen Segeln genießen und ins Rigg klettern können. So genug zu diesen „Polarkappenabschmelzern“ 😉 (Rosas Bezeichnung) oder “Seefahrernachmachermaschinenstadtkistendreckschleudern“ 😉 (Freyjas Bezeichnung).

Ein weiterer „Unmut aus Prinzip“ macht sich bei mir bemerkbar, wenn eine ungünstige Welle kommt, die mir das Backschaften in der Kombüse erheblich erschwert. In diesem Fall ist IMMER der Rudergänger Schuld! Oder alternativ schreie ich einfach das Meer an. NATÜRLICH trifft aber eigentlich immer nur die erste Variante zu! Einfach aus Prinzip! 😉 So, worüber besteht bei mir noch „Unmut aus Prinzip“? Über die Generatorensteckdosen, die Schälchen und Anti-Rutschmatten in der Messe, die Pläne im Quergang, die mir immer entgegenspringen, wenn ich sie aus ihren Folien zu entfernen versuche, die höchst kriminellen Muggen-Klauer und Müslirauspicker, über die Salzstreuer, aus denen kein Salz kommt, die Besteckhalter, die immer umkippen. Was soll man dazu noch sagen? Ganz einfach: „Unmut aus Prinzip“. Das Schreiben der Tagesmeldung lassen wir mal außen vor… (diese sollte eigentlich schon gestern Abend fertig sein). Achja, gleich ist meine absolute Deadline zur Abgabe dieser Tagesmeldung, demnach muss ich jetzt schnell fertig werden und hier einen Schlusspunkt setzten.
Tom L

P.S.:
1. Liebe Grüße an meine Familie, meinen Hund und an Nicole und Christoph von Galileo, die wir gestern Abend vor Ly`s und Andy´s Hochzeit am 01.03.18 getroffen haben. Heyerdahl!
2. Alles Liebe zum „viereinhalbten“ Geburtstag nachträglich (heute ist bei uns schon der 2.3.18), ich denke ganz doll an dich und habe gestern ganz brav deinen Geburtstag gefeiert. 😉 (Rosa)
3. An das RUDEL: Hochzeit war wunderschön! Mit Sonnenuntergang und Vollmondaufgang und viel pmln… super romantisch! Fotos und Videos folgen, wenn ich Wlan habe… (LY)
4. Liebe Grüße an alle an Land, vermisse euch sehr doll und freu mich euch bald wiederzusehen. Du fehlst mir richtig doll, du kleiner Frechdachs Adam. (Yara)

Unterricht an Board vs. Unterricht zu Hause

Datum: 27. Februar 2018
Position: 24°28,0’N, 075°11,4’W
Etmal: 136 NM
Wetter: Wasser 25°C, Luft 24°C, Windstärke 4
von Max

1. Runde: Ding, Ding, Ding
DER SCHULWEG
zu Hause: 10 Minuten Fußmarsch, dann 4 Stadtionen S-Bahn, darauf folgen 3 Stadtionen mit dem Bus und dann noch einmal 5 Minuten zu Fuß laufen.
an Bord: Circa 5 bis 15 Sekunden „Fußmarsch“ in die Messe (= Klassenraum/ Esszimmer/ Wohnzimmer) – jeweils abhängig von der Kammerlage innerhalb des Schiffes.

2. Runde: Ding, Ding, Ding
DER DRESSCODE
zu Hause: Keine Leggins, keine Hotpants, keine Jogginghosen.
an Bord: Oberkörperfrei ist verboten, (angesichts der „karibischen“ Temperaturen) wird oft gesehen die Shorts/ Badehose.

3. Runde: Ding, Ding, Ding
DIE LEHRER
zu Hause: Mindestens über 10 verschiedene Lehrer, man siezt diese und kennt sie kaum persönlich.
an Bord: Maximal 4 Lehrer für alle Fächer, wir duzen diese, wir leben mit ihnen auf einem ganz engen Fleck den ganzen Tag/ Woche/ Monate zusammen, im umfassenderen Sinne sind
sie unsere Bezugspersonen an Board.

4. Runde: Ding, Ding, Ding
SÄTZE DIE MAN IM UNTERICHT HÖRT
zu Hause: „Tut mir leid, dass ich zu spät komme, mein Wecker hat nicht geklingelt“; „Darf ich auf die Toilette gehen?“, …
an Bord: „Katharina, können wir gleich kurz den Geschichtsunterricht unterbrechen und hoch an Deck gehen, um uns die Bucht von Guantanamo Bay, an der wir gerade vorbeifahren, anschauen?“; „Verena, können wir uns die Delfine am Bug anschauen?“; Katharina kommt gegen Ende des Mathe-Unterrichts in die Messer und hält ein Schild hoch, auf dem steht: „Deutsch entfällt heute – spontaner Badestopp!“ oder: „Tut mir leid, dass ich zu spät bin, ich musste noch helfen, das Großsegel zu bergen.“ oder auch: „Christine, eine große Welle hat mich an Deck und mein Heft erwischt, das jetzt, inklusive mir, komplett nass ist.“

Obwohl mir während des Unterrichts aufgrund des Seeganges oft die Stifte und die Hefte herunterfallen und ich mich verschreibe, mag ich den Unterricht auf der Roald gerade deswegen lieber als zu Hause, weil man das Wissen, das man sich aneignet, gleich darauf anwenden kann. Ich mag es sehr, in den Pausen an Deck zu gehen, um frische Luft zu schnappen und aufs Meer zu schauen und sich einfach den Wind um die Ohren pusten zu lassen. Das ist besser als jeder Schulhof der Welt! Den „Fight“ gewinnt für mich eindeutig der Unterricht an Bord!
Max

P.S.:
1. Mama, ich wünsche dir alles, alles Gute zum Geburtstag! Ich hoffe, du hast einen schönen Tag und ich schick dir ganz viele sonnige Grüße! Hab dich ganz doll lieb!! Milena