Ode an die Schüler

Datum: 18. April 2018
Position: 53°44,2’N, 006°35,3’E
Etmal: 107 NM
Wetter: Wasser 6,5°C, Luft 13°C, Windstärke 4
von Martin, Verena, Katharina und Christine

In Anlehnung an die Tagesmeldung vom 09.03.2018. Es ist mal wieder so weit: Tagesmeldung. Wie immer stellt sich die Frage: Über was schreibe ich bzw. schreiben wir heute? War der Tag spannend? Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass heute nicht sehr viel Erwähnenswertes passiert ist. Viele von uns scheinen jetzt schon so sehr die niederländisch-deutsche Sonne zu genießen, dass sie erst einmal die dicke Winterkleidung der letzten Tage abgelegt haben. Die Populationsdichte heute an Deck war also eher überaus hoch, viele arbeiteten oder „chillten“ an verschiedenen Orten im Rigg oder eben an Deck. Was heute allerdings doch zu erwähnen ist … *Trommelwirbel*… „Theo-wait-for-it-Bumachus-Müller“ ist heute stolze 16 Jahre alt geworden. Wir feierten ihn um Mitternacht zum Wachwechsel mit einem schönen Ständchen, einem schicken Tafelbild, jeder Menge Geschenken, einer geschmückten Messe und einem GELUNGENEN Schokokuchen, da der Kuchenteig in dieser Nacht NICHT versehentlich mit Bretzelteig vermischt wurde… Angesichts der Tatsache, dass Theo gesundheitlich wohlauf war, war es also eher sehr festlich. Aber damit kommen wir jetzt auf das eigentliche Thema der heutigen Tagesmeldung: Unsere Schüler.

Wir finden, auch ihnen sollte wenigstens eine der insgesamt 186 Tagesmeldungen gewidmet sein! Unsere Schüler kann man eigentlich nicht Schüler nennen. Sie sind viel mehr! Vergleichen wir das einmal mit zu Hause. Zu Hause sind die Schüler meistens Personen, die einen mit nicht gemachten Hausaufgaben nerven, unaufmerksam, laut, zu spät, frech, streng und total unfair (in ihrem Urteil uns Lehrern gegenüber) sind, ständig an der Sitzordnung oder überhaupt an den Entscheidungen des Lehrers mäkeln, den Vertretungsplan nicht lesen und daher im falschen Raum sitzen, uns ständig mit ihren „(Der Bus-war-zu-spät)-Ausreden“ belästigen, Lichtjahre zum Zusammenpacken am Stundenende brauchen, sodass man die Tür nicht abschließen und zum nächsten Klassenraum bzw. in seine (wohlverdiente) Pause kann. Sie hinterlassen Berge an Korrekturarbeiten und halten uns generell von unserer kostbaren Freizeit ab. 😉

Wir müssen uns unheimlich (vernünftig und fair) vor ihnen benehmen, da sie quasi den Haussegen am Arbeitsplatz entscheidend beeinflussen können. Sie sind also jene Personen, die einem im Schulgebäude in Massen bestürmen und dementsprechend ist unser Verhältnis zu ihnen eher unpersönlich.

Schaut man sich nun unsere HSHS-Schüler an: Anouk, Laurine, Janis, Carlotta, Tom B., Theo B., Greta, Freyja, Milena, Isa, Paul, Tamina, Andy, Tom L., Ly, Kjell, Max, Lukas, Rosa, Theo M., Janik, Vroni, Yara, Jerit, Rasmus, Eike, Will, Nico, Bene und Arthur. Erster großer Unterschied zu den Schülern zu Hause: Sie sind eigentlich unsere Privatschüler, da sie nur zu 30st sind und ausschließlich von uns unterrichtet werden. Der wichtigste Unterschied aber ist, dass sie eben hier an Bord noch sehr viel mehr sind und man sie somit gar nicht mit den Schülern zu Hause vergleichen kann. Abgesehen davon, dass der Unterricht hier eh total anders abläuft als zu Hause, sind unsere Schüler hier einfach immer, IMMER, IMMER!!! da. Sie sind ununterbrochen im 24/7-Einsatz und spielen für uns alle somit eine ganz andere Rolle – die Schülerrolle ist da die meiste Zeit über zweitrangig.

Wir erfahren hier viel mehr über ihr Privatleben (- oder sollten wir besser sagen: alles?!), sie wissen aber auch viel mehr über unseres. Sie entscheiden quasi über unser ganzes momentanes HSHS-Leben, sind unsere „Adoptiv-“ oder auch „Probekinder“, denen wir bis zum 21.04.2018 nicht so richtig entfliehen können. Man muss (oder sollte) sich also zwangsläufig mit ihnen verstehen, was aber nicht heißen soll, dass wir das nicht auch so tun würden… Auch wir finden es erstaunlich, wie man es dann doch hinbekommt, sie im Unterricht als Schüler anzusehen und den Unterricht ernst zu nehmen, da wir sie schon in so lustigen (und auch in so manch peinlichen) Situationen erlebt haben, so oft mit ihnen Späße gemacht, über uns und sie gelacht haben und uns oft mit ihnen über den neusten Klatsch und Tratsch ausgetauscht haben (die Schüler sind, was das angeht, DEFINITIV IMMER WILDER drauf als wir!). Allein, dass wir in der Kammer direkt neben den ihren schlafen, deren Türen VOR ALLEM im wortwörtlichen Sinne immer (mief-)offen stehen, zeigt schon einen riesigen Unterschied zu den Schülern zu Hause.

Ja, wir Lehrer setzen uns mit jedem Thema eures derzeitigen Lebens auseinander und, auch wenn ihr manchmal nicht wollt, dass wir etwas erfahren, kriegen wir es tatsächlich IMMER irgendwie heraus (Tipp am Ende der Reise: Achtern gleich neben der Kombüse ist ein ungewollter, aber unüberhörbar „Lausche- und Infoplatz“) … Man kann ihre Rollen und Funktionen also nicht wirklich mit einem einzigen Wort beschreiben. Sie sind nicht wie unsere eigenen Kinder, dafür sind sie zu alt und dafür wissen wir zu viel über den Quatsch, den sie machen. Wie Schüler sind sie aber auch nicht, in gewisser Weise sind sie…, ja wie eigentlich? Wie Freunde?, Paten?, Weggefährten! – Lehrer auch für uns! – einfach unbeschreiblich! Aber die Beziehung zwischen uns und ihnen ist doch eher komplementär, denn wir sind halt ein bisschen älter und besitzen AUF JEDEN FALL Autorität! 😉

Schauen wir sie uns einmal in ihrer Gesamtheit näher an: Wagemutig seid ihr fast 6 Monate lang jeden Tag um 7:00 Uhr aufgestanden bzw. zu absolut allen (auch unüblichen) Tageszeiten und Wetterbedingungen zur Wache gegangen, habt als Backschafter dem Seegang und dem nervtötenden Geschirrgeklapper getrotzt und stundenlang geschuftet, um 46 Leute mit Essen zu versorgen, habt Berge von Geschirr gespült (und vereinzelt über Bord gehen lassen), kräftezehrend die Kombüse gewienert und „feierabendsehnsüchtig“ unser „Das-Passt“ erwartet, immer wieder aufs Neue dieselben Tische abgewischt (oder auch nicht), Duschen und Klos geschrubbt und immer wieder Messe, Gänge, Niedergänge gefegt. Ihr habt Müllgebirge eingesammelt, sortiert und gestaut, Messing poliert, Deck gespult – und euch die Köpfe um den Inhalt eurer heutigen Tagesmeldung zerbrochen. Ihr habt Segel gesetzt, geborgen, beigefangen und gepackt, Toppen gebrasst. Ihr habt uns am Ruder durch Stürme gesteuert und auf Kurs gehalten. Als Ausguck uns vor dem „Angriff der Killerbojen“ bewahrt. Auch im Klassenraum habt ihr Wind und Wellen die Stirn geboten, habt gelernt, dass zwei T-Shirts und eine Jogginghose einen vollen Kleiderschrank ersetzen können, dass jeden Tag Duschen eine anstrengende (und eigentlich auch völlig überbewertete) Angelegenheit ist. Ihr habt 30 Referate und ca. 10 Filme auf und unter Deck genossen.

Ihr habt Berge und Vulkane bestiegen – im metaphorischen wie auch im buchstäblichen Sinne – seid den höchsten Berg Spaniens hochgekraxelt! Habt mit dem Kajak die Küste Martiniques erkundet, habt Dschungel und Flüsse durchwandert, habt Meere und Strände genossen sowie Wellen abgeritten, habt Zuckerrohr geschnitten und Kaffee geerntet, habt einen Cross-Country-Lauf gemacht, habt Fußball, Basketball und Volleyball gespielt und seid vor Hunden geflohen, habt historische Stätten und Museen besucht, wobei ihr (zunächst) dem „Che-Mythos“ verfallen seid.

Ihr habt euch auf 29 wildfremde Menschen eingelassen, die mit euch die kleinen Kammern teilen. Ihr habt sie lieb gewonnen, ihnen eure privatesten Erfahrungen und Gefühle beim Deeptalk mitgeteilt. Habt gemeinsam gelacht und geweint, gestritten und versöhnt, gelobt und kritisiert, gesungen und gedichtet, geliebt und entliebt. Ihr habt unterschiedliche Erwachsenencharaktere kennen- und respektieren gelernt, euch immer wieder neu auf sie eingelassen – immer wieder neu auf sie um- und eingestellt. Ihr habt disziplinarisch-pädagogische Konsequenzen akzeptiert (auch wenn ihr deren Angemessenheit und Fairness nicht immer verstanden habt … vertraut uns: sie waren es! Grüße gehen raus an Isa # MartMart alias Justizia ;-)). Ihr habt euch auf fremde Kulturen eingelassen, Sprachbarrieren überwunden, habt (mal mehr, mal weniger) enge Kontakte zu Einheimischen geknüpft, mit ihnen gefeiert, sie verzaubert und bezaubert – so wie uns.

Obwohl ihr des Öfteren viel Mist baut und euch auch schon mal danebenbenehmen könnt, haben wir euch, seid euch gewiss, ziemlich lieb gewonnen und haben uns nach besten Wissen und Gewissen alle Mühe gegeben, die Reise für euch so schön wie möglich zu machen. Wir hoffen sehr, dass uns das auch ein wenig gelungen ist!? Auch wenn das vielleicht nicht immer so rüberkommt, aber auch wir Lehrer haben unsere 30 Schüler ziemlich gern. Sie schaffen es (zwar nicht immer), den schmalen Grad zwischen zu wenig Ernsthaftigkeit sowie Respekt und zu viel „Kumpanei“ auszubalancieren, aber Hühnerstall hin oder her, habt Dank für die schöne Zeit – ohne euch wäre diese Reise nicht das geworden, was sie ist.

Wir möchten die Meldung mit einem Zitat von eurem heißgeliebten „Kombüsen-Elvis“ beenden „You are always on our mind“! 😉
Christine, Martin, Verena und Katharina

P.S.: Was auch immer ihr euch für die Zukunft vornehmt, tut es!

Stimmungsschwankungen

Datum: 17. April 2018
Position: 52°45,9’N, 004°16,9’W
Etmal: 123 NM
Wetter: Wasser 7,5°C, Luft 11°C, Windstärke 5
von Ly

Als ich das erste Mal von High Seas gehört habe, war ich interessiert, aufgeregt und neugierig. Als ich mich dann mehr damit beschäftigte, wurde mein Interesse größer und meine Begeisterung auch. Es entstand der Wunsch, ein Teil dieses Projektes zu werden. Nachdem die Entscheidung, dass ich mitfahren möchte, getroffen und die Bewerbung losgeschickt worden war, war ich aufgeregt und hoffnungsvoll. Ich wusste nicht wirklich, auf was ich mich eingelassen hatte, aber bei was weiß man das denn schon auch wirklich… Die Zeit des Wartens war schrecklich (werde ich genommen oder nicht?), aber um so schöner war der Moment, als die Nachricht kam: Du bist dabei!! Ich war so glücklich und, auch wenn ich mich quasi darauf vorbereitet hatte, konnte es nicht glauben. In ein paar Monaten werde ich einfach in der Karibik sein, dachte ich mir, mit Menschen, die mir jetzt noch fremd sind, auf einem Schiff, das ich noch nie gesehen habe, ein Leben leben, das ich mir nicht vorstellen kann.

Auf dem Probetörn kam ganz viel auf einmal auf mich zu. Er war vor allem spannend und aufregend: Was sind das für Leute? Wie ist das Schiff so? Was werden wir machen? Gefällt es mir? Ist es so, wie ich es mir vorgestellt habe? Was habe ich mir eigentlich vorgestellt?… Es war auf jeden Fall viel los und alles war neu und toll. Diese eine Woche hat noch einmal bestätigt, High Seas ist wirklich was für mich! Die Zeit vom Probetörn bis zum großen Törn verging sehr schnell und war vollgepackt mit E-Mails, Plänen, Besorgungen, ganz viel Vorfreude und mindestens 10.000 Fragen zur Reise von Freunden und Familie. Je näher die Abreise kam, desto unwirklicher kam mir alles vor. Und als es dann endlich losging, konnte ich es gar nicht realisieren (wenn ich ehrlich bin, habe ich das Gefühl, immer noch nicht richtig realisiert zu haben, was ich hier eigentlich mache). Auch wenn ich die meisten der Mitfahrenden schon einmal gesehen hatte, waren es doch Fremde und alles was ich kannte, war plötzlich weg.

Manchmal fühlte ich mich ein bisschen verloren, aber weil jeder für jeden und alles für alle neu war, ging das schnell vorbei. Langsam aber sicher gewöhnte ich mich an alles, lernte alle kennen, fand Freunde und fühlte mich immer mehr zu Hause. Das Leben war ein einziges Abenteuer! Jeden Tag verstand ich das Schiff ein bisschen mehr, lernte jemand anderen besser kennen, machte neue Erfahrungen. Ich habe mich sehr schnell an das Bordleben gewöhnt und mich sehr wohl gefühlt. Das Gefühl von „Zuhause und Familie“ wurde immer stärker und schon bald konnte ich mir ein Leben ohne das alles gar nicht mehr vorstellen. Es gab natürlich auch Tage, an denen ich Heimweh hatte und lieber zu Hause gewesen wäre. Am stärksten an Weihnachten und Silvester. Aber alles in allem war die Zeit einfach super. An Land war es manchmal schwer, das „High-Seas-Leben“ mit dem „Zuhause-Leben“ zu kombinieren, vor allem weil es seltsam war, von allem zu erzählen und zu wissen, dass die Leute, die für uns eine zweite Familie geworden sind, unserer „anderen“ Familie fremd sind.

Die Zeit verging so schnell, plötzlich war die Hälfte der Zeit schon um und auf einmal waren es nur noch 3 Monate und es wurde wieder kälter. Mit dem immer schlechter werdenden Wetter und den Stürmen kam das Heimweh auch wieder und das warme traute Heim wurde von allen herbeigesehnt. Zwischen diesen Gedanken wurde mir aber langsam klar, dass die Reise wirklich bald zu Ende sein wird. Und plötzlich hab ich mich nicht mehr sooo… auf Deutschland gefreut, sondern hatte eher Angst vor dem Ende. All das entwickelte sich zu einem großen Zwiespalt, von dem ja schon öfters berichtet wurde. Das größte Problem an der Sache ist, dass wir gerade erst hier angekommen sind, also so richtig und noch lange nicht bereit sind für einen erneuten Wechsel. Tja, diesen Wechsel kann man aber nicht verhindern, also versuchen wir, die Zeit noch zu genießen und uns auf „das Ende“ vorzubereiten.

Wie man sieht, hatten wir die ganze Reise über und auch davor gemischte Gefühle in Bezug auf all das, was wir so erlebt haben. Ich bin mir sicher, dass sich diese Gefühle und damit auch die Perspektive auf diese Reise auch im Laufe der nächsten Wochen, Monate, Jahre, ja sogar unser ganzes Leben hindurch weiterhin verändern werden. High Seas aber wird, egal wie ich im Moment oder irgendwann dazu stehe, immer ein wichtiger Teil meines Lebens bleiben und mich für immer begleiten.
Ly