Wissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten mit Herz

Datum: 6. April 2018
Position: 48°45,6’N, 010°30,7’W
Etmal: 102 NM
Wetter: Wasser 11°C, Luft 12°C, Windstärke 7
von Freyja

Sich Wissen, bestimmte Fähigkeiten und Fertigkeiten, aber auch „Herzensweite“ anzueignen, sind wichtige und notwendige Dinge im Leben eines Menschen. Vieles andere steht damit in Verbindung, wird davon beeinflusst: Der Charakter, aber auch die Erinnerung eines Menschen, seine Gedanken, Entscheidungen und Handlungen, vor allem aber auch der Umfang seiner Fähigkeit zum selbst- bzw. eigenständigen Denken und Handeln – und damit eben auch für sich selbst gute Entscheidungen treffen zu können, um das eigene Leben glücklich oder zufriedenstellend gelingen zu lassen. Im weitesten Sinne geht es also um (Selbst-)Macht und Erfolg – was auch immer das für den einzelnen bedeuten mag. Deshalb verbringen wir doch all unser Leben mit Lernen. Vom Gehen und Sprechen in den ganz jungen Jahren bis zum Rechnen, Schreiben, aber auch Lieben, Streiten und Verzeihen in den älteren Jahren… alles müssen wir erlernen. Und irgendwann, wenn wir lange genug Erfahrungen gesammelt und gelernt haben, wird dann unser (Erfahrungs-)Wissen samt unserer Fähigkeiten und Fertigkeiten vielleicht zu Weisheit. Doch was lernen wir eigentlich hier auf High Seas?

Zuerst natürlich das Segeln: Segel auspacken und setzen, beifangen, bergen und fein packen. Manöver fahren, Navigieren, Ruder gehen, Knoten knoten, verschiedene arbeiten zum Schiffserhalt machen… und, und, und… In den unterschiedlichsten Ländern legen wir in Häfen an und lernen diese und was da sonst noch zugehört kennen: Umwerfende, bezaubernde, verblüffende Kulturen, Menschen und Landschaften.

Während der ganzen Reise eignen wir uns auf unterschiedlichste Art und Weise, teilweise ohne es zu bemerken, Fähigkeiten und (Sach-)Wissen an, das uns (im besten Falle) alle ein Stück der Weisheit näher bringt. Jedes Mal wenn wir mitten in der Nacht zu unseren Wachen geweckt werden oder knappe 8 Stunden in der Kombüse stehen, werden wir belastbarer und fleißiger. Jedes Mal wenn wir eine Last putzen, bei Seegang durch die Gegend fliegen oder bei schlechtem Wetter Wache gehen, werden wir toleranter. Wenn wir in circa 30 Meter Höhe (Royal) auf einem „gespannten Seil“ (Fußpferd) stehen und arbeiten, meistens schaukelt es dabei auch noch, oder fast ein Gefühl von Schwerelosigkeit bekommen, wenn wir auf dem Klüverbaum stehen und dieser in Richtung Wellental schwingt, werden wir mutiger. Und wenn wir dabei voneinander Unterstützung bekommen und jeder überall mitanpackt, dann steigern wir uns gegenseitig und werden hilfsbereiter. All dies und noch mehr, wie zum Beispiel Verantwortungsbewusstsein und Reife, haben wir hier mitbekommen.

Insgesamt kann man außerdem noch hinzufügen, dass wir gelernt haben, alle unsere Ansprüche an unseren Lebensstandard im Hinblick auf Privatsphäre und Freizeit deutlich zu reduzieren, z.B. zu viert oder sechst ein einer Kammer, die kleiner als unsere Einzelzimmer zu Hause sind, zu leben, in der Regel niemals mehr als 8 Stunden am Stück frei zu haben und die tägliche Dusche schon längst nicht mehr im Kopf zu haben… Wir haben mit Kopf, Herz und Hand gelernt ohne all die Dinge, die wir sonst so selbstverständlich haben, klarzukommen – das ist doch viel wert!
Freyja Sif

P.S.:
Ganz liebe Grüße an Lin <3 J&D

Alltag mit Seegang

Datum: 16. März 2018
Position: 35°58,3’N, 051°19,3’W
Etmal: 121 NM
Wetter: Wasser 19°C, Luft 20°C, Windstärke 6
von Freyja

Bevor wir im Oktober losgefahren sind, hat mir ein Mitglied meiner Familie folgenden Tipp für das Leben auf See mitgegeben: Wenn du ein Handtuch an der Tür hängen hast und dies „schief“ hängt, dann ist in Wahrheit die Tür schief.

Natürlich hatte ich mir damals noch kein richtiges Bild davon gemacht, wie Seegang den Alltag verändert. Nehmen wir das Messelogis als Beispiel: Dort sollte man bei Seegang nur backbords durchgehen, da steuerbords die Hängematten gefährlich auf Schulterhöhe hin und her schaukeln. Weiter geht es mit den Kammern: Inzwischen haben so ziemlich alle ihre Leebretter in ihre Kojen eingebaut, weil sie sonst mit der Bewegung des Schiffes aus ihren Kojen fallen würden. Außerdem ist auch alles festgebunden, was man auch nur festbinden kann, denn was nicht festgebunden ist, dass sucht sich ein neues Zuhause in der Kammer. Zeit ist auch ein Faktor, der sich bei Seegang ziemlich verändert, da man ungefähr doppelt so lange für alles, was man tut, braucht.

Willst du dir zum Beispiel eine Jogginghose anziehen, musst du zuerst den richtigen Platz finden, an dem du dich, optimalerweise „mittschiffs“, mit dem Rücken irgendwo gegenlehnen und dich mit einer Hand entweder rechts oder links von dir stützen kannst. Wenn du dann soweit bist, musst du die „richtige“ Welle abpassen, damit du schnell den Fuß durch das erste Hosenbein bekommst und so schnell wie möglich wieder festen Stand gewinnst, bevor die nächste Welle kommt, die dich möglicherweise zum Umkippen bringt. Es gilt die Regel: „Eine Hand für dich und eine Hand fürs Schiff“ – doch gelegentlich brauchst du eher zwei Hände für dich.

Durch das ständige Ausgleichen des Seegangs werden alltägliche Dinge, wie zum Beispiel Duschen, auch wenn das bei uns eher nicht so alltäglich ist, und Umziehen, um gefühlt 200 Prozent anspruchsvollere Aktivitäten. Dies wird vor allem auch gerade in der Kombüse deutlich…

Die Kombüse ist DER Ort, den du bei Seegang unbedingt vermeiden möchtest, da du dort das Gefühl hast, dass alles durch die Gegend fliegt! Natürlich tut es das nicht wirklich, da die Kombüse genauso seefest gestaut ist, wie jeder andere Ort auf diesem Schiff, doch der Lärm vermittelt den entscheidenden Unterschied! Der Lärm von Schüsseln, die hinter geschlossenen Schranktüren hin und her rutschen, der Lärm von Besteckhaltern, die auf den Boden fallen, sowie das Schreien und Fluchen der Backschafter…

Doch man kann doch keine Tagesmeldung über den Seegang schreiben, ohne den berühmten Tigergang zu erwähnen: An der Backbordseite mit nassem Ölzeug gepolstert und an der Steuerbordseite mit Schapps bedeckt. Wenn du diesen bei Seegang durchqueren möchtest, musst du dich bei jeder Backbordkrängung in die Jacken fallen lassen, sonst kommst du nicht voran, doch das versteht man vermutlich erst wirklich, wenn man schon bei Seegang Roald gefahren ist.
Freyja Sif

P.S.:
1. Liebe Grüße nach Osnabrück! (Freyja Sif)
2. Ich grüße die Osnabrücker und freue mich schon, euch alle wiederzusehen! (Rosa)
2. Ich grüße meine ganze Familie und meine Freunde an Land und freue mich unendlich doll, euch bald wiederzusehen. (Yara)