Wie ist das so?

Datum: 30. November 2017
Position: 18°00,0’N, 029°24,4’W
Etmal: 96 NM
Wetter: Wasser 27°C, Luft 27°C, Wind 4 Bft.
von Johanna (Stamm)

Lübeck/Bremen/irgendwo in Deutschland, irgendwann im Frühjahr 2017:
„Und, was machst du nun nach deinem Studium? Hast du schon eine Stelle? Wann geht“s los?“
„Nein, eine Stelle habe ich noch nicht, brauche ich auch noch nicht, denn ich gehe erstmal auf Reisen…“
„Oh, wie toll! Ja, das ist eine großartige Idee… Wohin geht“s denn?“
„Segeln…“
„Segeln? Wohin?“
„Ähm – nach Panama…“
„Was? Nach Panama?!? Und wie lange dauert das?“
„Etwa drei Monate!“
„Drei Monate?! Und wochenlang nur auf See, ohne Hafen? Und mit 45 anderen Menschen? Und 30 Schülern? Oha – und wie ist das so?“

Solche Gespräche habe ich viele geführt vor der Abreise. Die Reaktionen auf meine Ankündigung, statt in den Beruf zu starten, erst einmal in See zu stechen, waren durchaus unterschiedlich. Sie reichten von ungläubigem Staunen über Besorgtheit und leichtes Gruseln hin zu sehnsüchtigem Neid. Immer aber kam die Frage, wie das sei, so lange auf See, wie sich das denn anfühle. Darauf konnte ich nie richtig antworten: Ich war schlicht noch nie so lange auf See gewesen und über den Atlantik war ich erst recht noch nie gesegelt. Es würde wohl schon gut werden, anders als andere Törns, sicher, aber bestimmt irgendwie gut – mehr konnte ich nicht sagen. Jetzt sind wir seit sieben Wochen unterwegs, vor gut einer Woche haben wir die Atlantiküberquerung begonnen – und so langsam kann ich ein paar Antworten geben.

So lange auf See zu sein bedeutet, das Meer in all seinen Stimmungen kennenzulernen; das stürmisch aufgepeitschte, dunkle und kalte genauso wie das freundliche, sanft wiegende und leuchtend blaue Meer. Es bedeutet, einen Rhythmus zu finden, der bestimmt ist von Wache, Essen und Schlafen, von Segelmanövern, Crewbesprechungen und Schiffserhalt. Es bedeutet Verzicht – auf durchschlafene Nächte, auf tägliche Duschen, auf Privatsphäre, auf Familie und Freunde und auch darauf, einfach in den Supermarkt gehen und sich Obst kaufen zu können.

So lange mit so vielen anderen Menschen zusammen zu leben bedeutet, Kompromisse zu finden, sich Regeln zu geben, Rücksicht zu nehmen. Es bedeutet, zu streiten und sich wieder zu vertragen, es erfordert, Konflikte auszutragen statt sie auszusitzen – denn das funktioniert hier garantiert nicht. Es bedeutet auch, Menschen auf eine so unverstellte Art kennenzulernen, wie es an Land kaum möglich ist. Wenn man gemeinsam Stürme und Seekrankheit übersteht, zusammen die Weite des Meeres und die Tiefe des Sternenhimmels sieht, miteinander über Delfine und Wale staunt und einander in jeder Stimmungslage erlebt, dann lernt man einander wirklich kennen.

Mit einem Schiff in andere Länder zu reisen heißt, ein Gefühl für die Entfernungen und die Größe unserer Erde zu bekommen. Da passiert es einem nicht, dass man aus dem Flugzeug steigt und in Gedanken noch Zuhause ist. Wenn man wochenlang unterwegs ist, um ein Ziel zu erreichen, dann ist man, wenn man ankommt, auch wirklich und wahrhaftig da. Man lernt aber auch, das Unterwegssein zu genießen und nicht die Tage bis zum Ankommen zu zählen. Und man bekommt eine Ahnung von den Leistungen früherer Seefahrer, die mit solchen Schiffen, aber viel weniger technischer Ausrüstung noch viel weitere Fahrten unternommen haben.

Inzwischen kann ich sagen: Es fühlt sich gut an! Es fühlt sich gut an, mit all diesen wunderbaren Menschen zusammen zu sein. Es fühlt sich gut an, trotz oder vielleicht gerade wegen des Verzichts auf so Vieles, was sonst den Alltag bestimmt, glücklich und zufrieden zu sein. Stunden damit zu verbringen, einfach aufs Meer zu schauen, die immer anders aussehenden Wellen zu beobachten und vielleicht ein paar fliegenden Fischen hinterher zu sehen. Sich von den langen Atlantikwellen in den Schlaf wiegen zu lassen. Sich darüber zu freuen, nach einigen Tagen allein auf See mal wieder das Licht eines anderen Schiffes am Horizont zu sehen. Mit einer gut eingespielten Crew Segelmanöver zu fahren. Nachts in kurzen Klamotten im warmen Passatwind an Deck zu sitzen und Sternenbilder zu suchen. Ja, drei Monate. Ja, wochenlang auf See und ohne Hafen. Ja, mit 45 anderen Menschen. Wie das ist? Das ist einzigartig, anstrengend und wunderschön!
Johanna

P.S.:
1. Die Roald grüßt alle daheimgebliebenen Roaldies – es geht mir großartig! Ich wiege mich in den warmen Atlantikwellen, spiele mit Delfinen und Walen und freue mich, dass neben der üblichen Segeltheorie auch mal so spannende Dinge wie Geographie und Spanisch unterrichtet werden – da lernt auch ein so weit gereistes Schiff wie ich noch ein Menge dazu! Also macht euch keine Sorgen um mich

2. Viele Grüße an Anna-Lena – ich freue mich auf ein nachgeholtes Weihnachtsliedersingen im Februar!

3. Mit lieben Gedanken ganz viele Grüße und Drücker mitten vom Atlantik für Miri und Hannah Ehlert und Tirza in HH sowie Nasti, Ati und Peter in Berlin! (Katharina)

4. Mom, Paps, Sarah – wie schön!!! *strahl* Vielen lieben Dank! Ihr seid die Besten! Habt auch eine wunderbare Adventszeit! Ich denke an euch! (Annika)

5. Der graue Wolf grüßt ganz lieb sein BHRT :-D*

Der perfekte Tag

Datum: 29. November 2017
Position: 18°10,0’N, 027°45,9’W
Etmal: 100 NM
Wetter: Wasser 26°C, Luft 27°C, Wind 4 Bft.
von Eike

Aufstehen: „Du hast in einer halben Stunde Wache. Es sind 26 Grad warm und es ist trocken – perfektes Wetter für kurze Hose und T-Shirt.“ Ich stehe auf und mache mich fertig. Einige Minuten später stehe ich in der Messe und trinke eine Mug Kaffee, um wach zu werden. Als ich auf die Uhr schaue, merke ich, dass ich in fünf Minuten fertig angezogen mit Gurt an Deck stehen muss. Ich schaffe es pünktlich zum Wachwechsel, mein Toppsgast sagt mir, ich solle bitte den Rudergänger ablösen. Daraufhin melde ich mich bei meinem Steuermann mit dem Kurs 270 Grad in Richtung Martinique und übernehme das Ruder.

Der Kurs ist nicht schwer zu halten, alle 5 Min. 2 Grad Ruderlage Backbord und wieder 2 Grad Steuerbord. Durch ein bisschen Seegang gerät in der Kombüse einiges durcheinander und man hört Töpfe und Deckel scheppern… ich verfalle ins Träumen und denke es sei ein sonniger Tag mit 26 Grad und einer leichten Windbriese, die durch alle Kammern fegt. An solchen Tagen würde ich ungern zurück in die Kälte nach Deutschland. Ich habe zwar 0-4-Wache, lasse mich aber am Morgen um 6:30 Uhr wecken, um den Sonnenaufgang und das Frühstück genießen zu können. Zur Morgenwäsche gehe ich mit meinem Handtuch und einer Pütz zum Achterschiff, um mich mit einer Pütz tiefblauem Atlantik-Wasser abzuduschen und frisch zu machen.

Nach dem Duschen setze ich mich in die Messe, um das Frühstück am „Seemanns-Sonntag“ (=Donnerstag) zu genießen: Es gibt Pfannkuchen, Rührei und Obstsalat. Nach dem Frühstück setze ich mich an Deck, um die Morgensonne zu genießen und etwas Sonne zu tanken. Am Frühstückstisch wurde schon vom Kapitän Friedrich bekannt gegeben, dass wir am Mittag einen Badestopp zur Abkühlung einlegen werden. Auf einmal sagt TomL aus dem Rigg: „Wale an Steuerbord querab.“ Kurzerhand stehe ich auf und wende meinen Blick nach Steuerbord, als prompt in diesem Moment ein Wal auftaucht und eine riesen Wasser-Fontäne ausbläst. Ein Moment, der mir jedes Mal Gänsehaut verschafft. Kurz darauf taucht der Wal wieder ab.

Um mir etwas Ablenkung und Ruhe zu bescheren, gehe ich unter Deck und hole mein Buch, da ich Lust dazu habe, meine Nase in mein Buch zu stecken und etwas zu verweilen. Nach einer Weile des Lesens höre ich die Schiffsglocke läuten, gehe zur „Futterluke“, um mir ein Stück des gestern gefangenen Fisches zu holen und es auf der Brücke zu genießen. Nach dem Wachwechsel sagt unser Toppsi: „Klar zum Bergen der Segel und Klar zum Ausbringen der Lotsenleiter an Lee.“ Ich helfe die Lotsenleiter auszubringen, während die anderen die Segel bergen. Dann war es soweit: Friedrich eröffnet das „große Planschbecken“ und die ersten springen ins Wasser. Nach fünf Minuten kommen dann auch noch Delfine vorbei und wir genießen den Rest des Mittags. Nach unserem Badestopp setzen wir wieder alle Segel und gehen wieder auf Kurs. Am Ende des Tages bergen wir die Royals und den Außenklüver, um die Nachtbesegelung herzustellen und ich freue mich auf den nächsten Programmpunkt des Abends, denn wir schauen „Titanic“ auf dem Großstengestagsegel. Über uns der Himmel mit funkelnden Sternen und Sternschnuppen.

Auf einmal spüre ich ein starkes Schaukeln im Schiff und höre eine Stimme: „Neuer Kurs 275 Grad.“ Ich erwache aus meinem Traum, wiederhole schnell das Ruderkommando und ich merke, dass ich diesen perfekten Tag auf der Roald „nur“ geträumt habe. Schade! Wir können den Wind nach Martinique nicht ändern, aber die Segel richtig brassen und trimmen und hoffen, dass wir es planmäßig schaffen in unseren nächsten Zielhafen einzulaufen.
Eike

P.S.
1. Eike grüßt seine Eltern, die ganze Familie und alle an Land und drückt alle ganz lieb. ; )
2. Ganz liebe Grüße an meine Familie und Freunde in Hamburg (und auch sonst überall), mir geht“s
immer noch bestens – ich genieße die Sonne. An meine Klasse: Mathe kann auch schwerer
sein! (Anouk)
3. Liebe Mamita, herzlichste Glückwünsche zum Geburtstag und eine imaginäre Buddel prall gefüllt
mit Hochsommer mitten vom Atlantik. Nine
4. Ich wünsche meiner kompletten Familie eine schöne Adventszeit, macht es euch gemütlich im
heimischen Winter. (Greta)