Vroni hat die Haare kurz

Datum: 24. November 2017
Position: 23°14,6’N, 017°52,3’W
Etmal: 172 NM
Wetter: Wasser 23°C, Luft 24°C, Wind 2 Bft.
von Rosa

Herzlich willkommen bei „Gewöhnliche Berufe an ungewöhnlichen Orten“! Heute befinde ich mich auf der Brigg Roald Amundsen, wo ich mich mit Laurine Baier treffe, um ihr bei ihrer Arbeit als Bordfrisörin über die Schulter zu schauen. Da steht sie schon, ein blondhaariges, sympathisch lachendes Mädchen, inmitten einer Gruppe anderer Jugendlicher. Noch ist weit und breit keine Schere in Sicht… Langsam bin ich verwirrt und frage nach, wem Laurine alles schon die Haare geschnitten hat. Da meldet sich Nico zu Wort und berichtet, dass er schon zwei Mal bei Laurine zum Kürzen seiner Haare gewesen ist, die schon bedrohlich nah an seinen Augen waren, und dass er sehr zufrieden mit dem Ergebnis ist. Auch die anderen bestätigen, dass Laurine das wirklich gut gemacht hat! Sogar schon in einem echten „Haar-Notfall“ – als die Schneidemaschine falsch eingestellt gewesen war und somit die Seitenhaare von Andy (Andronikus) einen Zentimeter statt nur einen Millimeter kürzer geworden waren – habe sie ganze Arbeit geleistet und eine tolle Frisur gezaubert, sodass man jetzt gar nicht merke, dass das eigentlich nicht so gehöre. Gut, dann bin ich hier also zumindest nicht falsch. Plötzlich kommt ein etwas größeres Mädchen (Vroni) mit relativ langen, dicken, dunkelblonden Haaren an Deck, das strahlt als sei Weihnachten und Sylvester an einem Tag. Sie bespricht sich kurz mit Laurine, dann verschwinden beide nach Achtern (hinters Deckshaus). Neugierig folge ich ihnen und werde Zeuge davon, wie sie in Sekundenschnelle das „achtere“ Schiff mit einem Hocker, einem Handtuch (über Vronis Schultern) und einer Schere (in Laurines Hand) in einen Frisörsalon verwandeln.

Als ich nachfrage, welche Frisur es werden soll, erklärt Vroni mir, dass es kurz werden soll – so kurz wie möglich. Auf diese Nachricht hin gehe ich erst einmal einen Schluck Wasser trinken, doch als ich wiederkomme, sind ihre Haare schon ab. Freudestrahlend hält Vroni mir einen geflochtenen Zopf ins Gesicht, den sie spenden will, wenn sie wieder zu Hause ist. Erst angesichts des Zopfes wird mir klar, wie viel Mut sie und auch Laurine beweist. Als ich danach frage, meint sie, dass es hier sowieso keinen juckt, wie sie aussieht, und Laurine es schon nicht vermasseln wird. Was sie in der Tat dann auch nicht getan hat. Schon nach wenigen Minuten sieht die Frisur echt „topp“ aus – und das obwohl Laurine meint, dass sie noch längst nicht fertig ist. Mit Kamm, Haarschneidemaschine und später auch einer Pütz (=Eimer) in der Hand, die sie – natürlich ohne ihre Klamotten nass zu machen – kurzerhand über Vronis Kopf auskippt, bekommt die Frisur den letzten Schliff. Wirklich beeindruckend, wie gelassen Laurine am Werk ist – und das bei leichtem Seegang, lauter neugierigen Blicken ihrer Mitschüler und einer Delfinschule (von locker hundert Tieren), die die Roald begleitet und den ein oder anderen (Hobby-)Fotografen oder Tierfreund in helle Aufregung versetzten. Auch Laurine muss natürlich hin und wieder (von ihrer Arbeit) aufschauen, um die schönen teilweise zwei Meter langen Säugetiere bei ihren gewagten Sprüngen (von bis zu fünf Metern Höhe) zu begutachten, wobei einige von ihnen sogar elegant auf der Seite landen oder in der Luft verspielt mit ihren Schwanzflossen schlagen.

Nach gut eineinhalb Stunden ist der Haarschnitt fertig und mich schaut ein „ganz anderes“ Mädchen aus ihren (natürlich) immer noch blauen Augen an. Älter, verschmitzter und auch ein bisschen glücklicher sieht sie aus mit ihrer pfiffigen, frischen Kurzhaarfrisur und dem strahlenden Gesicht nach dem Blick in den Spiegel, der reicht, um Laurine zu versichern, dass sie gute Arbeit geleistet hat. Und das hat sie wirklich, auch wenn wir uns alle, eingeschlossen Vroni selbst, an die neue Frisur gewöhnen müssen. Nach verrichteter Arbeit heißt es für Laurine erst einmal ausruhen, aber das auch nur vier Stunden, denn dann muss sie wieder pünktlich zur Wache erscheinen, da auch „Bordfrisöre“ von den Pflichten, die man auf Segelschiffen nun einmal hat, nicht ausgenommen sind.
Rosa