Heute hier, morgen dort

Datum: 12. Dezember 2015
Position: 15°42,1’N, 057°57,7’W
Etmal: 108,5 nm
Wetter: Wasser 27°C, Luft 31,5°C, Wind 4 Bft.
von Johannes

Wir schreiben Samstag, den 12. Dezember 2015. Nach 22 Tagen und drei Stunden auf See hatten wir heute Mittag 2.702 Seemeilen zurückgelegt. Das ergibt eine ansehnliche Durchschnitts-geschwindigkeit von 5,1 kn (Knoten = Seemeilen pro Stunde). Wir sind von den Kanaren aus nicht viel nach Süden gelaufen – bald schon erfasste uns der Nordostpassat, der uns nun also schon drei Wochen so flott vorantreibt. Heute vor acht Jahren befand ich mich auch hier irgendwo auf dem Atlantik zwischen den Kanaren und Martinique. Damals allerdings als Schüler bei der 15. High Seas High School Reise 2007/2008, heute fahre ich als Steuermann. Während damals die Reise das erste Mal auf der Johann Smidt stattfand, findet sie dieses Jahr das erste Mal auf der Roald Amundsen statt. Auch wenn meine große Reise nun schon einige Zeit her ist, kann ich mich noch gut in die Schülerperspektive einfühlen.

Wie es ist, zu verschlafen, oder wie anstrengend Backschaft ist. Wie es ist, sich bei jedem Stammcrewwechsel an die Eigenarten der neuen Stammcrew zu gewöhnen – aber auch bei jedem Wechsel eine neue Chance zu bekommen. Keine neue Chance bekommt man in der SchülerInnengruppe, nach einiger Zeit auf See kennen sich die SchülerInnen teilweise gegenseitig besser als sich selbst. Aber Vergleiche zwischen HSHS Reisen sind schwierig, ist doch jede einzigartig. Ein Unterschied zu meiner Reise ist sicherlich das Alter, weil die SchülerInnen seit der Umstellung auf G8 jünger geworden sind. Auch wird durch die Roald wesentlich mehr Seemannschaft gefordert und gefördert – alle SchülerInnen klettern auf die Rahen, können spleißen und takeln. Gleich bleibt, dass das deutsche Schulsystem mit Anwesenheitszwang, Noten und vorgegebenem, deutschem Lehrplan auch vor der hohen See nicht halt macht — schließlich droht ja nächstes Jahr schon das Abitur, dieser vermaledeite Initiationsritus. Wenn beispielsweise die Lehrer zum Unterricht rufen, während doch eigentlich alle viel lieber noch ein zusätzliches Segel setzen würden.

Hier verallgemeinere ich aber vielleicht schon unzulässig mein eigene Freude am Segeln, da die Motivation für diese Reise bei jede*r einzelnen wahrscheinlich unterschiedlich ist. Meiner Erfahrung nach schwankt diese irgendwo zwischen Lust auf andere Länder, Lust auf Segeln und Abenteuer, keine Lust auf Zuhause oder es war tatsächlich die Idee der Erziehungsbeauftragten.

Aber zurück zum Tagesgeschehen. Heute gab es keine Schule, dafür aber gleich zwei All Hands Manöver. Bei dem ersten versuchten wir drei Wenden, von denen zumindest die erste glückte. Auf einem Rahsegler gegen die Dünung des Atlantiks ist dies schon ein Erfolg. Nach einer Mittagspause und gestärkt durch leckeren Gewürzschokokuchen, der nach Banane geschmeckt hat, übten wir die Sicherheitsrollen. Nachdem die Stammcrew einmal vormachte, wie in einem Notszenario mit Verletzten die Kommunikationsstruktur funktioniert, wurden Schüler*innen in Übungsnotrollen eingeteilt und übten sich im Umgang mit verschiedenen gespielten Seenotfällen. Von Feuer, Wasser im Schiff, Kollisionen über diverse Verletzte bis zu unwilligen Besatzungsmitgliedern, die nicht zum Generalalarm an Deck erscheinen wollten, übten wir viele mögliche Szenarien. Wobei es bekanntlich besonders schwer wird, wenn gleich mehrere Notfälle gleichzeitig eintreten. Alle Manöver glückten und ich denke, dass dieser Tag für alle sehr lehrreich war – sind es doch zwei völlig verschiedene Sachen, ob man erzählt bekommt, was bei einem Notfall zu tun sei oder ob man es tatsächlich einmal spielt. Gestärkt durch vorzügliches Brot vom Abendessen laufen wir nun wieder mit 4 Knoten in Richtung Dominica und ich bin schon gespannt, welche Erfahrungen wir dort machen werden.
Johannes

P.S.: Ich grüße besonders meine Eltern, die nun bestimmt ein zweites Mal diesen Blog verfolgen und hoffe, dass es Allen Zuhause gut geht und ihr die Adventszeit genießen könnt. Und ich schicke einen dicken Knuddel an Lisa, bald können wir telefonieren!
Stella schickt ganz liebe Grüße an ihre lieblings Omi! Fühl dich von mir gedrückt, hab dich lieb