What a Day

Datum: 6. Mai 2016
Position: 54°40,9’N, 010°21,3’E
Etmal: 122 nm
Wetter: Wasser 10°C, Luft 12°C, Wind 5-6 Bft.
von Melinda

Jetzt ist die Reise vorbei. Wir liegen vor Anker. Um ehrlich zu sein, bin ich ziemlich müde vom heutigen Tag. Seit acht Uhr morgens auf den Beinen. Ab 12:00 Uhr mittags im All Hands. Vollzeug! Mehrere Halsen, eine Wende, Dinghi aussetzen, Segel setzen, Segel bergen, brassen, Segel trimmen, feinbrassen, acht Knoten, perfektes Segelwetter, die Ostsee hoch und runter, zwei Geburtstage und ein letztes Segelpacken mit einzigartigem Sonnenuntergang. Das war so im Groben der heutige Tag kurz beschrieben. Wir sind mit allen Segeln die Ostsee lang gesegelt und haben ein letztes Mal den Wind in unseren Gesichtern spüren können. Es war total schön, die Roald nochmal unter Vollzeug zu erleben. Doch mit der Dämmerung sind wir unserem Ankerplatz immer näher gekommen und mit dem Wegnehmen der letzen Segel sind auch die ein oder anderen Tränen geflossen. Dann hieß es: Zum letzten Mal ins Rigg! Das letzte Mal packen, der letzte Nockzeiser, der letzte Webleinstek. Außer die Vorsegel, die haben wir uns für morgen aufgehoben 🙂

Von der Obermars auf die Untermars; und ich werde gar nicht versuchen zu beschreiben, wie es sich angefühlt hat, auf der Rah zu sitzen mit dem Sonnenuntergang hinter sich. Es war besonders. Besonders in dem Sinne, dass es das letzte Mal war. Wie ich das vermissen werde und wie ich alles hier vermissen werde. Die Menschen, unsere Roald. Aber alles hat irgendwie ein Ende und jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, Abschied zu nehmen und ja… Abschied zu nehmen!

Als wir alle aus dem Rigg kamen, gab es ein All Hands. Kein normales All Hands, kein All Hands in Wachen, nein, ein All Hands, bei dem wir alle in einem Kreis ums Spill standen und uns in den Armen lagen und einfach mal einfach so für zwei Minuten geschwiegen haben. Alles, was in diesen sieben Monaten mit uns passiert ist, auf uns wirken zu lassen. Irgendwann haben wir uns hingesetzt und plötzlich ging eine sogenannte „Stille Post“ rum, weil einer wissen wollte, wie spät es ist. Angefangen mit „Wie spät ist es?“ über „weißer Fischpenis“ zu „blauer Fischpenis“ zu „Fischerkäse“ – und damit habe ich diese emotionale Stimmung geradewegs zerstört. Aber so ist das nun mal.

Meine kleine Sässi ist ja heute 15 geworden und zur Feier des Tages kam Vitus Larak, unser Profiklempner, gerade eben in Musikbegleitung von Benjamin Franke in unsere Kammer und hat sich mit Schutzbrille und Dübel (das war eine große rote Zange, aber Saskia meinte, es sei ein Dübel :)) in Overall bis auf die Boxershort ausgezogen. Danke für diesen Anblick, Tweety! Schlagsahne gabs nicht, weil der Generator aus war 🙂
Melli

Die Zeit zurück drehen?

Datum: 27. April 2016
Position: 51°00,1’N, 001°39,2’E
Etmal: 76 nm
Wetter: Wasser 10°C, Luft 9,5°C, Wind 4-5 Bft.
von Melinda

Die Tage streichen davon und irgendwie habe ich das Gefühl, hinterherlaufen zu müssen und gleichzeitig die Zeit zu stoppen und dann wird mir immer wieder aufs Neue klar, dass diese Reise bald ihr Ende gefunden hat, die Zeit noch nie aufzuhalten war und plötzlich ist man total überfordert und fragt sich, ob man wirklich alles aus diesen 7 Monaten herausgeholt hat.

Neulich haben wir in unserer Lernphase eine Reflexionseinheit gehabt mit der Intention, eine Timeline von der ganzen High Seas Zeit zu erstellen. Wie viele Seiten brauche ich? Mhhh… ich glaube drei! Falsch gedacht! Ich bin bei den Bermudas angelangt und habe bereits mit meiner sechsten Seite angefangen. Meine Timeline sieht aus wie ein einziges Chaos ohne jegliche Struktur und ohne roten Faden, aber ich habe gemerkt, dass es doch tausend kleine Erlebnisse gibt, die ich durchlebt habe, die ich schon wieder total vergessen habe, da sie am Anfang der Reise geschehen sind. Irgendwelche Witze, Abende, Weckeinheiten etc. Plötzlich kommt alles hoch und diese großen Landaufenthalte wie Costa Rica teilen sich in tausend kleine Dinge, die einen an diese tolle Zeit erinnern und in deiner Timeline steht nicht ganz groß „COSTA RICA-Landgang“, sondern dass man auf der Expi aus der Hängematte gefallen ist.

Ihr müsst Euch vorstellen, dass diese letzen Tage auf der Roald ein totales Gefühlschaos erzeugen und man mit dem Erstellen dieser Timeline erst merkt, wie viel man eigentlich erlebt hat. Gleichzeitig aber denke ich an so kleine Momente zurück und werfe mir immer wieder vor, die Zeit nicht ausgiebig genutzt zu haben. Landgänge, die man ausfallen lassen hat, weil man zu müde war?! in Kuba?! „Nein, ich gehe nicht ins Wasser – mir ist zu kalt!“ Auf den Bahamas?! Rumzusitzen und zuzuschauen während wir in einem afrikanischen Dorf in Kuba die Götter tanzen sehen, anstatt mitzutanzen?! Nicht ins Rigg zu gehen, weil einem das Wetter zu schlecht und schauklig war?! In der Karibik auf ein Schwimmabenteuer zu einer unbewohnten Insel zu verzichten, weil man Angst vor gefährlichen Tieren (in meinem Fall) gehabt hat?! Auf ein leckeres Essen in Mexico verzichten, weil es einem zu teuer war und tausend Dinge, die man nicht getan hat, weil man zu faul war!

Jetzt befinden wir uns mitten im kalten Europa auf See mit Nachtwachen um die 6 Grad und ich denke immer wieder darüber nach, dass ich höchstwahrscheinlich nie wieder nach Costa Rica oder Kuba kommen werde und somit diese kleinen Dingen einfach weg, spurlos verschwunden sind und einem einfach nur die Erinnerungen bleiben von den Tagen, die man wirklich gelebt hat und die Tage, die man nicht genutzt hat, mit der Zeit in den Erinnerungen verweilen werden und einfach nicht mehr da sind.
Melli

P.S.: Ich grüße ganz herzlich Onkel Hubertus und Onkel Poppel! Zudem grüße ich meine kleine Schwester und möchte ihr den Tipp auf den Weg geben, wenn sie auch diese Reise wie ich antreten wird, jeden Tag zu nutzen und, auch wenn du kotzend über dem Schanzkleid hängst, an alle Momente zurück denkst, die für dich diese Reise geprägt haben! Mami und Papi, bald bin ich wieder da und ich kann es kaum erwarten euch in Kiel von der Roald aus zu sehen! Liebe Grüße auch an den kleinen Mucki!