Bootsmann ab Oostende…

Datum: 4. Mai 2016
Position: 53°52,6’N, 008°43,9’E
Etmal: 117 nm
Wetter: Wasser 11°C, Luft 11°C, Wind 3 Bft.
von Helge

Was habe ich mir alles für Gedanken gemacht, als ich im Zug auf dem Weg nach Oostende saß. wie werden die Schüler mich aufnehmen? Schon wieder ein Crewwechsel? Was will der neue da von uns? Werden sie mich in dieser eingeschworenen Gemeinschaft, die sich nach sieben Monaten Seefahrt gebildet hat überhaupt akzeptieren? Wie wird die Stimmung sein? So auf den letzten Metern? Kann das überhaupt ein schöner Törn werden, so voller Emotionen? Werden sie überhaupt in der Lage sein, „normal“ zu funktionieren, oder sind sie total durch den Wind, hin und her gerissen zwischen Fernweh und Heimweh, zwischen „nicht enden wollen“ und „endlich runter von diesem Kahn“?

Was soll ich sagen, ich bin begeistert! Ich wurde so freundlich empfangen, so selbstverständlich und routiniert. Ich war völlig baff. Überhaupt, diese fantastischen jungen Menschen führen das Leben auf See mit einer legeren Normalität die mich umhaut. Ich bin schon viele kurze Schülertörns auf der Roald gefahren. Da war das immer völlig anders. Hier kommt man morgens um halb sieben auf dem Weg aus der Koje zum Kaffee an der Kombüse vorbei und hört, wie sich die drei 15-jährigen Backschafter verständigen, dass „natürlich“ zuerst das alte Obst aufgebraucht wird, bevor das neugekaufte angebrochen wird. Da werden ganz selbstverständlich alle Bereiche des Bordlebens von den Schülern organisiert. Die Kombüse ist da nur das kleinste. Wenn man eine Ankerwachen braucht, ist die längst eingeteilt. Wenn ein Einkaufszettel für den Großeinkauf geschrieben werden soll, hat das Proviantteam diesen garantiert schon längst geschrieben. Vom Segeln ganz zu schweigen. Die Crew (ohne Stamm-) führt komplett selbstständig sämtliche Segelmanöver professionell aus. Als wäre es das normalste der Welt, bei 6 Beaufort Wind dreißig Meter über dem Wasser ein Segel hafenfein zu packen. Ach ja, gar keine Frage, sie packen immer hafenfein. Wir vom Stamm stehen nur noch daneben und passen auf, dass sich aus lauter Routine keine Fehler einschleichen.

Und für mich als Bootsmann ist es geradezu traumhaft. Wenn ich labsalen möchte, wende ich mich vertrauensvoll ans Bootsmannsteam. 10 Minuten später hab ich mindestens vier Leute, die motiviert Eimerchen und Pinsel nehmen und drei Stunden durch die Toppen toben um Schiffserhalt zu machen. Wenn ich vorsichtig frage, ob ich ihnen bekleeden nochmal erklären soll, schauen sie mich entgeistert an und sagen Dinge wie: „Nee, ist alles klar, hab ich schon oft gemacht.“ Damit ich mich hier nicht im Überschwange verliere: Es sind ganz normale junge Menschen, die alle ihre Eigenheiten und Macken haben. Es gibt das gesamte Spektrum der Charaktere, Schwierigkeiten und Krisen. Und sie sind 14-18 Jahre alt. Aber was mich wirklich begeistert hat, ist diese Selbstverständlichkeit mit der sie hier an Bord nach sieben Monaten in See auch unangenehme Aufgaben mit einem lockeren Spruch auf den Lippen erledigen. Die kloppen sich drum, wer das Klo putzen darf! Wirklich!

Ich bin sehr froh, liebe HSHS-Crew, dass ihr mich auf dem letzen Teil Eurer großen Reise in Eure Gemeinschaft aufgenommen habt. Ich bin sicher alle von Euch werden – jeder auf seine Art – von diesem außergewöhnlichen Abenteuer profitieren. Und ich freue mich darauf Euch irgendwann hier an Bord wieder zu treffen.
Euer Bootsmann Helge

Grüße:
Olivia grüßt alle, die uns auf dieser fantastischen Reise begleitet haben – egal ob von zuhause aus via Blog, Facebook, SMS etc. oder direkt hier an Bord als Smut / Maschinist / Deckshand / Toppsgast / Steuermann oder Kapitän!!
Besonders an letztere noch einmal ein großes Dankschön! Ohne euch wäre vieles nicht möglich gewesen und ihr werdet für uns immer untrennbar mit unserem großen Abenteuer verbunden sein! Auf ein Wiedersehen auf der Roald! 🙂
Alexandra grüßt ihr LWF-Team von der Roald unter Segeln auf der Elbe.
Mike grüßt Karin, Cora und El Greco.
Ganz herzliche Grüße in die Mühlenstraße und nach Bad Saulgau von Mama
Der Seelöwe hat sich ausgetobt und schreibt doch nichts mehr. Es wird keinen letzten Teil B&R geben. Aber vielleicht… gibt“s ja doch was. Wer weiß, ich auf jeden Fall nicht. Zum Standort noch eine Info: Wir sind in der Schleuse zerquetscht worden. Oder so ähnlich. Stellt euch einfach vor, dass wir mit 40 Knoten um Dänemark herumkurven und für euch Eltern nicht erreichbar sind. Das dient dem Schutz der psychischen Integrität der Lebendware an Bord und soll vor Verfolgung schützen. So, zum 4. Mai sage ich nur noch: Möge die Wacht mit euch sein!