Zeiterleben

Datum: 2. April 2017 (Tag 177)
Position: 31° 28,3, 064° 34,2′ W
Etmal: 167 nm
Wetter: Luft 21°C, 1012 hPa, bewölkt, Wind SW 5 Bft.
von Jesko

jesko6 Monate waren wir nun schon unterwegs, einiges haben wir erlebt, viele Probleme haben wir zusammen gemeistert und nun ist es so weit: Es tut mir leid, ihnen mitteilen zu müssen, dass dies mein letzter Tagesbericht sein wird. Über vieles hatte ich schon die Gelegenheit, zu berichten, ob es nun spektakuläre Seeschlachten, oder die Erfahrungen mit dem Atlantikschwell waren. Der Tagesbericht gab mir jeden Monat die Möglichkeit, meine tiefsten Empfindungen, meine innigsten Gefühle, meine bewegendsten Erfahrungen mit dem Rest der Menschheit zu teilen. So ermöglichte ich allen Außenstehenden einen unvergleichlichen Einblick ins Bordleben auf der Johann Smidt. Doch Spaß beiseite. Fakten wie dieser machen einem klar, wie kurz unsere Ankunft inzwischen bevorsteht. Dabei ist, wie schon in anderen Berichten beschrieben, das Zeitgefühl an Bord vollkommen irreführend.

So kommen einem gewohnt langweilige Situationen, wie zum Beispiel der Unterricht, durchaus immer noch ebenso ermüdend und sich scheinbar endlos in die Länge ziehend vor, wie man es bereits vor dem Törn gewohnt war. Rückblickend jedoch erscheint einem alles erst vor wenigen Wochen geschehen. Man erinnert sich an beinahe alles, was man bisher erlebt hat, allerdings wirken alle vergangenen Ereignisse auf wenige Monate, ja Wochen komprimiert. Dabei entspricht dies nicht nur meiner persönlichen Sicht auf die Dinge, man hört von fast allen Mitseglern, dass sie die Zeit hier so ähnlich erlebten. Vielleicht liegt dies am sich ständig ändernden Tagesablauf. So kam, anders als man es erwarten könnte, kaum Routine auf. An den ständigen Wechsel von Unterricht und Wache habe ich mich jedenfalls kaum bis gar nicht gewöhnt und sobald wieder Land erreicht war, erwarteten uns tägliche Ausflüge und sich häufig ändernde Essenszeiten.

Wie dem auch sei, die Tage bis zur Rückkehr werden weniger, der 6. Mai rückt immer näher und man beginnt, zurückzudenken. Resümees zur Reise werdet ihr hier in den folgenden Tagen wahrscheinlich noch oft genug lesen, jedoch denke ich, dieses Erlebnis wird wohl jedem, auf welche Art und Weise auch immer, als womöglich eine der besten Entscheidungen seines/ihres Lebens im Gedächtnis bleiben. Wir sehen uns in Hamburg,
Jesko