In die richtige Richtung

Datum: 12. März 2018
Position: 32°33,1’N, 062°03,0’W
Etmal: 153 NM
Wetter: Wasser 20°C, Luft 19°C, Windstärke 6
von Paul

Ich atme ein. Tief und langsam. Meine Lunge füllt sich allmählich mit der frischen Meeresluft. Ich atme aus und wieder ein. Es ist frisch, kühl, aber es fühlt sich sehr angenehm an. Der Wind streift mir durchs Gesicht. Ganz sanft, aber man merkt seine Kraft. Die See ist aufgebraust. Rau. Kalt. Eiskalt.

Neben mir schlägt ein Regentropfen nach dem anderen auf dem Boden auf. Es ist dieser Moment, der mich so fasziniert. Berge von Wasser türmen sich vor meinen Augen zu gewaltigen Wellen auf. Kunstvoll geformt von Meisterhand. Alles wirkt so gleich, so unbedeutend. Aber doch auch so unterschiedlich, jede für sich selbst auf eine Art und Weise besonders. Erst nach einiger Zeit zeigt sich das wahre Meisterwerk auf dem blau-grauen Hintergrund der See. Ein zärtliches Muster aus Schaumkronen, wie es vorher noch nie da gewesen zu sein scheint. Und wenige Augenblicke später ist es auch schon wieder verschwunden, als wäre es nie da gewesen. Verschluckt von den gewaltigen Tiefen des Ozeans. Die weichen Konturen der Wellen. Deutlich zu erkennen in dem nebligen Grau der See. Allmählich wird es kälter, düsterer. Die Tropfen schlagen auf das Wasser ein, als müssten sie ihre Wut und ihren Unmut auslassen. Tiefe Löcher hinterlassen sie im Wasser, doch die See glättet schnell alle Wogen wieder. Es wirkt so unbedeutend hier, ein Stück weit verlassen. Alleine. Aber nicht hilflos, sondern trotzdem behütet.

Und wieder schaue ich in die Ferne, lasse meinen Blick am Horizont entlang schweifen. Von einer Welle zu der anderen. Ich atme tief ein und die frische Seeluft füllt meine Lunge. Herrlich. Angenehm. So leicht, aber kraftvoll zugleich. Meine Hand fährt über das Schanzkleid. Es ist kalt. Nass. Matt. Ich bin schon ganz durchtränkt. Das Wasser läuft über meine nackten Finger. Auf eine Art und Weise bin ich damit verbunden mit der  See. Meine Fingerknöchel krallen sich noch stärker an das Schanzkleid. Das Schiff wird in den Wellen hin und her geworfen, wie eine kleine Nussschale. Ein winziger Fleck auf dem riesigen Blau. Ich muss mich bemühen, stehen zu bleiben.

Mein Blick gleitet wieder über die See. Wellen über Wellen. Ein ganz besonderer Anblick. Eisiges Wasser fegt als langer Nebel nur knapp über die Meeresoberfläche, als wären es schwerelose Wolken über dem düsteren Kalt der See. Dieser Nebel hat etwas Leichtes, etwas Beruhigendes und Mächtiges zugleich. Ich bin fasziniert von diesem Schauspiel. Die Regentropfen prasseln immer noch unermüdlich auf das Wasser hinab. Gleichzeitig und immer wieder neue hinterher, als hätten sie sich abgesprochen. Und immer wieder. Tausende. Als wäre kein Ende in Sicht. Immer wieder. Und immer wieder.

Allmählich wird es wärmer, schwüler und die Wellen türmen sich mehr und mehr auf. So rau, als würden sie sich durch das Wasser reißen müssen. Ein Blitz ist plötzlich zu sehen. Er ist so hell, dass er den ganzen schwarzen Himmel in ein leuchtendes Weiß taucht. Ein warmes Weiß, so hell, dass es fast schon in den Augen blendet. Und dann: Stille – alles ist ruhig, nur das Rauschen des Meeres ist noch zu hören. Donner. Und ein gewaltiger Knall reißt die ruhige Nacht wieder aus ihrem Schlaf. Und dann ist es wieder still. Nur das Rauschen des Meeres. Es wirkt so friedlich. Blitz. Einer nach dem anderen. So schnell die nächtliche Kuppel in einem unvorstellbar herrlichen Lila erleuchtet, so schnell wird es dann auch wieder stockduster. Finster.

Kalt. Eiskalt. Die See ist ru higer geworden. Friedlicher, so friedlich, als wäre sie plötzlich in einen tiefen ruhigen Schlaf gefallen. Die Wellen ziehen weiter ihre Bahnen auf dem gewaltig großen Teich und allmählich finden auch die Regentropfen ihre Ruhe. Ich atme tief ein und noch einmal füllt sich meine Lunge mit der frischen reinen Seeluft. Herrlich. Ich atme ein und wieder aus. Immer wieder. Ein und wieder aus.Liebe Grüße von dem Atlantik.
Paul

P.S.:
1. Viele liebe Grüße an meine Mama und meinen Papa, an meine Omas und an meinen Opa und an alle anderen zu Hause. (Paul)
2. Kjell wünscht seiner lieben Mama alles Gute zum Geburtstag.
3. Ich freue mich schon auf das Nachfeiern deines Geburtstages in Hamburg. Mach dir einen schönen Tag heute. Viele liebe Grüße nach Isen und Mühldorf! Mama, denk doch bitte daran, Oma in SB am 14.3. ganz lieb zu ihrem 95. Geburtstag zu gratulieren, ich denke ganz fest an sie! 🙂
4. Liebe Grüße an meine Spanischlehrerin Frau Flamm. (Lukas)