Im Gewitter festgeklebt

Datum: 11. Dezember 2017
Position: 14°57’N, 048°52,7’W
Etmal: 97 NM
Wetter: Wasser 27°C, Luft 25°C, Windstärke 4
von veRena

Das dumpfe Brummen des Generators holt mich um sechs aus der Koje, die tägliche Wäsche ruft. Zurück in der Kammer, ich ziehe mich gerade an (irgendetwas MUSS man ja anziehen, trotz der Wärme), höre ich ein Plätschern. Verdammt, spuckt die Waschmaschine wieder das Spülwasser aus? Wir haben doch kaum Krängung! Ich sehe Bene, der seinen Fotoapparat von Deck aus im mittleren Niedergang in Sicherheit bringt. Mit Zeichensprache (es ist ja für die meisten noch lange vorm Wecken) erklärt er mir, dass es in Strömen gießt. Gut, es ist nicht die Waschmaschine, die plätschert. Aber: gar nicht gut, habe ich den Schülern doch gerade erst erklärt, dass es in der Passatwindzone NICHT regnet. Ich stelle mich an Deck und genieße das sonst so rare Süßwasser, das mir dort großzügig von oben zur Verfügung gestellt wird. Die stehende Wache legt sofort los: „Vereeena! Du hast doch gesagt, dass es hier nicht regnet!“ Beim Frühstück geht es weiter: „Vereeena, da hast du uns ja wohl Quatsch erzählt“ und „Vereeena, wieso regnet es hier?“. Ich bin ein wenig ratlos. Vor meiner Geo-Stunde suche ich mir die aktuellen Wetterkarten auf dem Bordrechner und werfe sie im Unterricht per Beamer an die Wand. Ich kann mich zum Glück rechtfertigen, weil die Karten ein Tief zeigen, dass sich frech zwischen zwei großen Hochs hindurch nach Süden geschoben hat und einen klitzekleinen, schwachen Trog in unseren Breiten geschaffen hat. Aber ob das reicht, dass mir die Schüler jemals wieder etwas glauben?

Der Regen hört immer mal auf und fängt dann wieder an. Das macht der Wind auch. Die Wachen setzen und bergen Segel, brassen nach back- und steuerbord, aber nichts will uns so richtig in Richtung Karibik bringen. Das Klima ist perfekt für Ariane, die ein paar Tage lang kistenweise Linsen bearbeitet und zum Keimen gebracht hat, sodass ein knackiger, frischer Linsensprossensalat entsteht. Die Luft klebt, in den Kammern wird das Atmen zur Herausforderung und das Liegen zur Schwitzpartie. Lediglich die Kammer 2 („Pumakäfig“ …) hat einen Ventilator in die Tür gestellt bekommen, damit sie wenigstens ein bisschen von der Luft, die immerhin durch die Gänge weht, abbekommt. Der zweite Ventilator kreist in der Messe, damit die Lehrer und Schüler während des Unterrichts nicht wegschmelzen oder am Unterrichtsstoff kleben bleiben. Der Tag zieht sich in seiner zähen Klebrigkeit dahin. Irgendwann hört man auch auf, sich den Schweiß von der Stirn zu wischen. Er läuft eh immer weiter. Ich bewundere vor allem die Backschaft, die es wie immer pünktlich schafft, leckeres Geschnetzeltes auf den Tisch zu bringen und nebenher einen tollen Geburtstagskuchen für Lukas zu backen.

Wozu habe ich mir in Santa Cruz eigentlich meine Notfallrationen an Nudelsuppen gekauft? Wer hat eigentlich behauptet, wir müssten uns darauf einstellen, dass es ohne Smut auf dem Atlantik zu kulinarischen Katastrophen kommen wird? Das ist jedenfalls alles Quatsch, ganz im Gegensatz zu dem Regen. Während ich am Ruder ein wenig Entspannung suche, kommt eine Delfinschule auf uns zugesprungen. Fast so schön wie der (Finn-?) Wal gestern Morgen, der uns stundenlang begleitet hat. Mal an back-, mal an steuerbord zeigte er uns seinen Blas, seine Finne, seinen großen Rücken und zum puren Vergnügen auch immer wieder seinen weißen Bauch. (Will uns jemand was Schönes nach Martinique mitbringen? Wir sehnen uns nach einem Wal-, Delfin-, Fisch- und Vogelbestimmungsbuch!) Zum Abendbrot wird das mit dem Regen, den es hier angeblich ja gar nicht gibt, nochmal ernst. Wer schon einmal einen tropischen „Schauer“ abbekommen, kann es sich vielleicht vorstellen: die Roald fährt in eine Gewitterzelle hinein. Der Wind macht viel oder gar nichts und das aus wechselnden Richtungen.

Wir fahren eine Schleife. Große Regentropfen in unfassbaren Mengen strömen auf das Deck hinunter, begleitet von ununterbrochenem Blitzen und gelegentlichem Donnern. Außer der stehenden Wache werden alle unter Deck geschickt, was der klebrigen Luft da unten ein Übriges gibt. Lilly kommt triefend nass in Regenzeug in die Messe, an Deck bräuchte man Leute in festen Schuhen zum Brassen. Also ab in die Schuhe (Hemdchen und kurze Hose reichen ja sonst) und raus in die dunkle Gewitternacht. Wow! Durch den Wasserfall von oben an die Brassen tasten, den Großtopp brassen, Vortopp brassen, Großtopp härter anbrassen. Und neben mir das wahrscheinlich glücklichste Geburtstagskind der Welt, das statt Kerzen einen Blitz nach dem anderen bekommt. Gemeinsam schießen wir in dieser warmen, nassen, dunklen, blitzenden Waschküche noch die Tampen auf. Gewittergeduscht pule ich mich nur noch aus den klatschnassen Klamotten und falle in die Koje.
Verena

1. Grüße von Anders, Käthe, Erich Horst an Little Welpe, Monkey und Jakob
2. Liebe Grüße an meinen Papa und seine Familie vom Atlantik! Laurine
3. Ich grüße meine Familie und freue mich darauf, bald von Martinique aus mit meinen Eltern zu sprechen. Yara
4. Alles Gute nachträglich zum Geburtstag, Amelie! (Papa, kannst du ihr bitte Bescheid sagen?) Vroni

Atlantik-Taufe

Datum: 10. Dezember 2017
Position: 15°04’N, 047°14,2’W
Etmal: 100 NM
Wetter: Wasser 27°C, Luft 27°C, Windstärke 4
von Milena

Hallo an alle da draußen, irgendwie wissen Sie ne ganze Menge über uns, aber wir nichts über Sie. Naja, ich glaube, dass ich für uns alle hier sprechen kann, wenn ich sage, dass das hier gerade einfach eine ganz neue Welt ist, eben ganz anders als zu Hause; natürlich gibt es auch Dinge, die zu Hause besser sind, aber es ist schon toll, was wir jeden Tag hier erleben. Man kann sagen, dass ich Ihnen gerne von meinem Tag berichte, um Sie vielleicht etwas neidisch zu machen. Bestimmt kennt das jeder, dass man einfach nicht mehr schlafen kann. Ich weiß ja nicht, zu Hause dreht man sich um, steht auf und es ist niemand da. Hier stehe ich einfach auf, treffe sofort jemanden im Flur, der meint, dass ich doch irgendwo hinkommen solle … So begann mein Sonntagmorgen. Es gibt bestimmt auch mal Momente, in denen man gerne alleine wäre! Stellen Sie sich das mal vor: Ganz für sich alleine isst man einen Keks, dann nimmt man sich noch einen zweiten, vielleicht genießt man auch noch einen dritten. Hier teilt man einen Keks sozusagen mit dreißig anderen Menschen, da merkt man erst einmal, wie viel so ein kleiner Keks wert sein kann.

Heute hatte die Luv-Klasse ihren freien Tag, das bedeutete für mich, die in der Lee-Klasse bin, von 08:00 -12:00 Uhr Wache gehen. Wir sahen einen großen Finnwal, der uns bestimmt eine Stunde lang begleitete. Um 10:00 Uhr durfte ich alle anderen wecken gehen, da heute Großputz angesagt war. Wecken ist für mich immer eine 50×50-Chance: Entweder bekommt man von den gerade Erwachten ein Lächeln oder man wird „angefrutzelt“ – allerdings muss ich zugeben, dass ich auch nicht immer lächle, wenn ich geweckt werde… Heute war keiner begeistert, als ich ihn weckte und auch noch verkündete, dass gleich Großreinschiff ist. Als wir mit dem Putzen und Schrubben fertig waren, wurde zum All-Hands gerufen. Es war anders als sonst: Alles ganz durcheinander! Wir wurden alle unter Deck geschickt, um uns Badesachen anzuziehen und uns so bekleidet in der Messe zu versammeln. Langsam dämmerte uns, dass uns wohl die bekannte Atlantik-Taufe bevorsteht. Da saßen wir nun in Badesachen in der Messe. Immer zu viert wurden wir aufgerufen und mussten hoch an Deck gehen. Was uns da erwartete? Dazu sage ich nicht viel… das muss man leider selbst erleben! Ich sage nur, dass es nass, klebrig und schleimig wurde. Als alle das Gröbste hinter sich hatten, kamen wir zur richtigen Taufe: Jeder einzelne von uns wurde nach vorne gerufen, es wurden 1-2 Sätze über denjenigen gesagt, danach bekam er seinen neuen Namen und wurde von Poseidon und seiner Göttergattin Thetis getauft. Danach stand erst einmal Deckschrubben bzw. das Schrubben von uns selbst an. Dann gab es wie jeden Tag Kaffee und Kuchen.

Ich finde, man merkt hier so richtig, wie ein Tag so langsam zu Ende geht, da die Sonne mit einem wunderschönen Sonnenuntergang verschwindet. Und schon klingelte die Glocke zum Abendessen. Zum krönenden Abschluss des Tages gab es dann auch noch einen Kinoabend auf dem Großsegel. Das Gefühl, auf einem Segelschiff zu liegen, mit dem man gerade die Welt „umsegelt“, und im regelmäßigen Schaukeln von links nach rechts einen gemütlichen Filmabend zu macht, kann man nicht anders beschreiben als „bombe“. Also zum Abschluss kann ich sagen, dass – auch wenn vier Wochen Atlantik (nur Wasser) sich echt hart anhören – ist auch dort jeder Tag etwas Besonderes – so wie die ganze Reise etwas Einzigartiges ist. Jeder Moment kann perfekt sein! Für jeden auf eine andere Weise!
Milena

P.S.
1. Isa wünscht allen ihren Freunden in Berlin (und im Rest der Welt) eine tolle Weihnachtszeit und vermisst euch ganz doll. Feiert für mich mit!
2. Andy grüßt Bruggi und Eppi.
3. Theo wünscht seiner ganzen Familie eine schöne Weihnachtszeit!
4. Nico wünscht seiner ganzen Familie eine schöne Weihnachtszeit und vermisst sie!
5. Vielen lieben Dank Mama und Papa für die Karten und das tolle Geschenk! Habe euch unendlich lieb! Und natürlich auch liebe Grüße an alle meine Freunde zu Hause. (Lukas)