21. Tag auf dem Atlantik

Datum: 13. Dezember 2017
Position: 14°46,7’N, 052°13,4’W
Etmal: 102 NM
Wetter: Wasser 27°C, Luft 28°C, Windstärke 5
von Rasmus

„Liebe Kammer 6! Aufstehen! Ihr habt in einer halben Stunde Frühstück. Draußen sind es 27 Grad warm – perfekt für ein Frühstück an der frischen Luft!“ So wurde ich heute in unserer gefühlt 35 Grad heißen Kammer geweckt. Als ich mich nach 10 Minuten endlich auf die Beine geschwungen hatte, stolperte ich den mittleren Niedergang hoch und wurde von einem strahlend blauen Himmel und Sonnenschein begrüßt. In der Zeit, in der alle anderen aus meiner Klasse in der Messe gefrühstückt haben, saß ich an Deck und träumte ein bisschen in den Tag hinein, da ich keinen Hunger hatte. Für die Schüler ging es dann um 8:00 Uhr mit den Reinschiffarbeiten los: Ich musste dabei heute die Glocke polieren. Danach nahm der inzwischen schon ganz normale Unterrichtsalltag seinen Lauf. Laurine kümmerte sich während der Mittagspause um die Einteilung der Expi-Gruppen, die jetzt schon seit ein paar Tagen ein sehr großes Gesprächsthema unter uns sind, damit wir morgen in der Schülerversammlung endlich zu einer einvernehmlichen Entscheidung kommen können.

Um 16:00 Uhr begann dann endlich der Schiffserhalt, worauf ich mich schon den ganzen Tag lang gefreut habe! „Ey, Rasmus!“, hörte ich eine Stimme rufen. Das war Jerit, der mich verschmitzt angrinste: „Kommst du mit hoch ins Rigg, um das Großsegel zu nähen? Ich zeige dir, wie das geht.“ „Ja klar,“ antwortete ich. Ein paar Minuten später waren wir in der Bootsmannslast und suchten uns Garn, eine Nadel und zwei Segelmacherhandschuhe zusammen – zwar nur für Rechtshänder, aber die wollte ich später nicht missen. Eine weitere Minute später standen wir mit Gurten oben an Deck und waren klar zum Aufentern. „Peter, Jerit und ich gehen ins Rigg, um das Großsegel zu nähen,“ rufe ich, um uns bei unserem Steuermann abzumelden. Oben auf der Groß meinte Jerit: „Leg du dich auf die Rah, ich hänge mich unten drunter mit meinem Gurt.“ Jerit holte das Garn, die zwei Handschuhe und die Nadel aus der Tasche und ich zog den Segelmacherhandschuh an. Dann erklärte Jerit mir, dass ich auf der anderen Seite, an der er die Nadel durchsteckt, immer 1 cm nach Backbord und 1 cm nach unten die Nadel wieder zurück stecken muss. Als kleines Problem stellten sich jetzt die Handschuhe heraus, die leider nur für Rechtshänder bestimmt sind, weswegen ich nun die Nadel immer mit der rechten Hand durch das Segel drücken musste, obwohl ich eigentlich Linkshänder bin. Doch nach einer Weile ging es schon ganz flüssig und wir konnten uns neben der Arbeit über verschiedene Dinge unterhalten.

Nachdem wir mit unserer Arbeit fertig waren, steckte Jerit das Nähwerkzeug wieder ein und wir kletterten runter. An Deck sicher wieder angekommen, meldete ich uns bei Peter, dem Steuermann der 4-8-Wache, wieder an. Zum Abendbrot gab es heute leckere Tomatenbutter, die die Kombüse frisch zubereitet hat. Ariane (3. Steuermann bzw. -frau) fing nach dem Abendbrot noch Plankton in einem extra dafür vorgesehenen Kescher und wir beobachteten die winzigen Tierchen bzw. Pflanzen unter einem Binokular. Beeindruckt von den winzigen Tieren, die doch so unfassbar schön und anders aussehen, setzte ich mich an die Tagesmeldung und hörte noch ein paar kleineren Gesprächen in der Messe zu. Bis ich mich unter einem Himmel voller Sterne und Sternschnuppen, den ich bestimmt zu Hause vermissen werde, endlich in meine Hängematte einkuschelte.
Rasmus

P.S:
1. Ich grüße alle daheimgebliebenen Freunde und meine Familie. (Rasmus)
2. Viele Grüße an Ursula, Jürgen und Barbara von Ariane und Peter.
3. Alles, alles Gute zum Geburtstag, Leon! Ich hab dich lieb und vermisse dich! (Theo)
4. Ich melde mich mal wieder und kann euch versichern, dass es mir gut geht! Ich grüße meine Familie ganz lieb, außerdem meine Freunde zu Hause in Hamburg und außerhalb: vermisse euch und freue mich auf Martinique, wo ich mich melden kann! (Anouk)
5. Hi Nele, wenn du in Martinique bist, können wir uns treffen! Würde mich sehr freuen. Ich grüße alle zuhause und besonders Oma, freue mich auf das Telefonieren! (Max)

Lehrkörper (oder dann und wann auch Leerkörper) sein an Bord

Datum: 12. Dezember 2017
Position: 14°59,3’N, 050°31’W
Etmal: 99 NM
Wetter: Wasser 26°C, Luft 24°C, Windstärke 4-5
von Christine und Martin

„Und was machst du so mit der restlichen Zeit, wenn du nicht unterrichtest?“, fragte mich kürzlich ein Schüler. Gute Frage! Schließlich sieht mein festes Tagesprogramm eigentlich nur die Punkte: ein bis drei Stunden Unterrichten, Lehrerkonferenz und ggf. Stammcrewbesprechung vor. Punkte, für die ich aufgrund ihrer Anzahl definitiv keinen Kalender benötige, um sie mir zu merken und die mir eigentlich auch keinen vollen Tag bescheren. Und doch habe ich mich vor einigen Tagen dabei erwischt zu sagen „Wo ist nur dieser Tag geblieben?“. Manchmal scheinen sie nur so davon zu fliegen. Hier also ein kleiner Einblick in meinen Lehreralltag an Bord.

Um kurz nach sieben werde ich von Isas lieb säuselnder Stimme geweckt, „Lehrer aufsteheeeen!“. Ich schäle mich aus der Koje und „krabble“ noch leicht verschlafen an Deck. Ich entdecke Martin, der im Sportdress und mit jeder Menge Elan dafür sorgt, dass den Schülern noch vor der nachmittäglichen Wärme die Schweißperlen auf der Stirn stehen. Mal wieder Ausdauersport machen sollte ganz nach oben auf meine Festland-To-Do-Liste, denke ich mir. Damit jeder Lehrer auf seine tägliche „Meckerdosis“ kommt, heißt es für uns noch vor dem Unterrichtsbeginn das Reinschiff zu kontrollieren. Schüler und Erwachsene scheinen dann und wann sehr unterschiedliche Vorstellungen von Sauberkeit zu haben. Ich muss grinsen, wenn ich an die vielen Diskussionen zwischen mir und meiner Mutter zu meiner eigenen Teeniezeit denke.

Fast 8.45 Uhr. Ich muss mich sputen, wenn ich nicht selbst zu spät zu meinem Unterricht kommen will. Zum Glück ist mein „Arbeitsweg“ nur knapp zehn Meter weit und keine Ampel kann mich ausbremsen. Heute steht ein Vokabeltest in Spanisch auf dem Plan. Noch bevor wir richtig begonnen haben, werde ich mit Fragen bombardiert. Trotz aller Bedenken von Schülerseite wird der Test mit Bravour gemeistert. Sabotiert wird die Stunde lediglich durch die immer mal wieder streikenden Whitebordmarker. Man tut gut daran, hier vieles lockerer zu nehmen. Dann werden meine Strichmännchen zur Erklärung der Vokabeln eben nur halb so hübsch, na und?

Die Stunde bis zur vormittäglichen Lehrerkonferenz nutze ich zum Korrigieren der Vokabeltests. Das geht natürlich am besten an Deck. Naja, nein, eigentlich stimmt das nicht. Aber hier geht es „am schönsten“. Es ist ein Arbeitszimmer mit einem wahnsinnigen Ausblick. Vor mir das tiefe Blau des Atlantiks, aus dem immer wieder Schwärme fliegender Fische wie kleine Torpedos herausspringen und nach 4 Metern wieder in den Wellen verschwinden. Da dieses Arbeitszimmer aber nun einmal keine Tür hat, will prinzipiell immer irgendjemand etwas von einem. Mal handelt es sich um den angeblich fehlenden Reis in der Backskiste für das Mittagessen, der beim gemeinsamen Nachschauen dann genau dort gefunden wird, wo er sein soll, mal um das Beantworten von Fragen zum Bau einer Minientsalzungsanlage oder Fragen zu den bald bevorstehenden Expeditionen in Costa Rica und Panama, die hier langsam alle in helle Begeisterung versetzen und für jede Menge Gesprächsstoff und Planungstreffen sorgen. Zwischendurch wird gelobt, gerügt, Haare geflochten, Bücherempfehlungen gegeben, sich zu gemeinsamen Herumblödeln verleiten lassen statt weiter zu korrigieren oder zu planen, Sonnencremebenutzungsanordnungen ausgesprochen und ganz wichtig: ein Ohr für die Schüler haben. Wie geht es ihnen? Plagt sie Heimweh, Süßigkeitenentzug oder Zuckerschock? Was wünschen sie sich?

Irgendwie habe ich es geschafft die Vokabeltests zu Ende zu korrigieren und bin sehr zufrieden mit meinen Schülerchen. Durch die lange Lehrerkonferenz in der z. B. Lob und Tadel für einzelne Schüler angesprochen oder die bevorstehende Weihnachtszeit und die Expis besprochen und vorgeplant werden, stehen wir in der Futterausgabeschlange ganz hinten. Beim Essen schließlich grübeln wir schon wieder über das Menü der nächsten Tage nach. Was muss aufgebraucht werden? Welche Reste haben wir noch? Was fehlte beim heutigen Essen? Sind die kommenden Rezepte wie geplant durchführbar? Apropos Weihnachten: Was soll es zu Weihnachten geben? Hat schon jemand mit dem neuen Essensplan begonnen? Wir sollten auch mal den Einkauf auf Martinique planen… Habt ihr Ideen für eure Wichtelgeschenke? Ich mache mich daran, meine Nachmittagsstunde zu planen. Dabei beobachte ich, wie Martin und Annika quer durch das Schiff laufen und Puderzucker für die angedachte Keksbackaktion suchen. Hmm… irgendwie fehlt der. Wir opfern schließlich den „Geburtstagskuchenzutatenpuderzucker“.

Die letzte Schulstunde des Tages verfliegt wie im Nu und bei Kaffee und Melone werden die gerade erlernten Regeln zu den spanischen Relativpronomen verdaut. Mittlerweile kann man unsere „Auslösegedichte“ (wessen Pulli, Trinkflasche, Socken, … eingesammelt werden, weil sie herumfliegen, schreibt ein Gedicht, um sie wieder auszulösen) schon fast als kultureller Punkt am Nachmittag zu Kaffee und Kuchen bezeichnen. Dichten können wir scheinbar besser als singen, denn sie sind teilweise wirklich klasse und lassen mein (eigentliches) Deutschlehrerherz höher schlagen.

Ich werde in die Kombüse gerufen, um mal kurz den Salat abzuschmecken. Knapp 1,5 Stunden später habe ich Keksteig geknetet (bei unseren Mengen natürlich per Hand), zum Teil mit der morgigen Backschaft das Mittagessen und die weiteren Backvorhaben besprochen und mit aufgebacken (Tisch decken). Nach dem Essen machen Martin und ich uns an die Stundenplanplanung für den nächsten Törn und verzweifeln einmal mehr an den drei Spanischkursen. Trotz ewigem Hin- und Herschieben der Stunden sind wir am Ende nicht zufrieden. Dafür aber durchgegart von der Hitze in der Messe. So beschließen wir uns eine kleine Pause und Abkühlung auf der Brücke zu gönnen. Dank des mal wieder atemberaubenden Sternenhimmels mit abertausenden hell leuchtenden Punkten ist der Unmut schnell verflogen. Ich höre ausgelassenes Mitgegröle zu Sting, Queen und kurz danach zu Katie Perry. Der Musikgeschmack der Schüler überrascht und begeistert mich immer wieder.

Gefühlt nach zehn Minuten kommt die Backschaft und meldet uns „Kombüse klar zur Abnahme“. Heute bedeutet dies für die Armen gleich sechsfache Sichtung, denn das Lehrerrudel wird unter den kundigen Fittichen von Ariane und Annika gründlichst in die „Kombüsensauberkeitsstandards“ eingewiesen. Um halb neun nehme ich noch einmal final die Reinigungsarbeiten der Backschaft in der Kombüse nach dem Nachbessern ab. Hier und da muss noch einiges weggeräumt werden, doch ich drücke ein Auge zu, sodass die Jungs endlich aus der Kombüse kommen. Wieder auf der Brücke lausche ich mit Ariane, Annika, Lilly und Martin aufmerksam dem neusten Klatsch und Tratsch. Manchmal könnte man das Gefühl haben, dass wird das Vorbild für sämtliche Seifenopern sind. Dabei stelle ich höchst erfreut fest, dass der Genitiv bei den Schülern trotz aller „Schinken“, „Bree´s“* und Sprachökonomie doch nicht ganz ausgestorben zu sein scheint.

Müde fallen wir viel zu spät an diesem Abend in unsere Kojen (was hier 22.30Uhr bedeutet). Kurz vorm Einschlafen denke ich mir, ja, es war eine überaus gute Entscheidung meine Bewerbung bei HSHS abzugeben.
Christine und Martin

*Schinken und Bree: momentan inflationär gebrauchte Wörter, die alles und nichts bezeichnen können.