Ankunft in Grenada

Datum: 18. Dezember 2016, (Tag 72)
Position: 11° 59,8′ N, 061° 46,1′ W
Etmal: 140 sm
Wetter: Luft 29°C, 1014 hPa, sonnig, cloudy NE 3-4 Bft.
von Manuel

t_manuelSeit Samstag 22 Uhr fährt die Johnny, endlich endlich, wieder unter Segeln. Wenn wir segeln, ist meine Laune gleich um mindestens eine Stufe besser, als wenn wir motoren, und außerdem geht die heftige Schaukelei von über 20 Grad in beide Richtungen in eine sanfte, sehr schlafbare Schräglage von 0 bis 10 Grad nach steuerbord über. Sobald wir aus der Landabdeckung durch die Insel St. Vincent heraus waren, machte die Johnny auf Halbwindkurs beständig 8 bis 10 Knoten. Um 9 Uhr sind die Segel geborgen, wenig später ankern wir in der „True Blue Bay“. Wirklich kitschiger Name. Außerdem sachlich falsch: Das Wasser ist nicht blau, sondern türkis.

Die Zeit bis zum Mittagessen nutze ich, um die Klassenarbeit Spanisch für Anfänger fertig zu korrigieren. Das ist logistisch gar nicht so einfach. In unserem „Lehrerzimmer“ haben wir keinen Tisch, und gebeugt in der Koje korrigiert es sich schlecht. Messe und Seegarten scheiden von vorne herein als Korrekturräume aus – zu öffentlich, zu viele Zuschauer. Bleiben die Steuermanns- und die Kochskammer. Zum Glück sind die Bewohner dieser Kammern sehr entgegenkommend und duldsam. Ulli schafft es sogar zu schlafen, während ich den Rotstift ansetze. Nach dem Mittagessen fährt das Schlauchboot zur Tauchbasis, um den Ablauf des Tauchkurses zu besprechen, der morgen beginnt. Für uns an Bord Verbliebene heißt es nun erst einmal warten – warten, Kammern aufklaren, Kombüse in Ordnung bringen, Expis planen und hoffen, dass wir uns bald in das türkisfarbene Wasser neben dem Schiff stürzen dürfen.

Später schlachten wir fünf frische Ananas. Uwe meint, dass sie wie Ananas aus der Dose schmecken. Mehrere Menschen widersprechen. Die Ananas gibt es zum Kaffee, und außerdem gibt es Plätzchen, vier pro Person. Vanillekipferl vor Grenada … großartig. Nach dem Kaffee ist Lernen angesagt. Dabei haben wir doch schon Weihnachtsferien. Aber bis morgen (!) müssen wir für die theoretische Tauchprüfung die Teile Eins, Zwei und Drei des „Open Water Diver Manual“ gelesen haben, volle 150 (!) Seiten. Es tut mir leid, aber ich kann nun nicht mehr die wunderbare Abendstimmung, den prächtigen Sonnenuntergang und den Filmabend an Bord schildern, keine Zeit, ich muss lernen. 150 Seiten. Bis morgen. Puh. Schöne Grüße von einem ganz normalen 4. Advent in der Karibik.
Manuel

P.S.: Ich möchte die Klasse 9c des Albertus-Gymnasiums Lauingen ganz herzlich grüßen und ihr für den unterhaltsamen und umfangreichen Brief danken. Ihr habt mal wieder jede Erwartung übertroffen!

Checklisten

Donnerstag, 15. September 2016

manuelN 48°34’11’’, O 10°25’31’’, Höhe 444m. Alles ruhig, kaum Wind. Kein Wunder: Das ist die Position meines Schreibtisches. Der Himmel ist wolkenlos, Seegang 0 bis 1 am Lauinger Badesee.
Heute ist Tag –23. Inzwischen ist mein Gehirn darauf trainiert, morgens gleich nach dem Aufwachen eins weiter zu zählen. Heute schaltete es also von –24 auf –23.
Die unbändige Vorfreude der letzten Monate wird immer mehr von einer Aufregung und Anspannung überlagert, in die sich das wohlbekannte Gefühl mischt, dass es bestimmt irgendetwas gibt, was ich schon längst erledigt haben müsste. Wenn ich es in Ruhe überlege und die Checklisten checke, scheint alles im grünen Bereich oder in trockenen Tüchern oder meinetwegen auch in grünen Tüchern zu sein. Außerdem kann man die meisten Dinge auch unterwegs kaufen, nachsenden oder improvisieren.
Zwischendrin ein paar Mails beantworten. Ich könnte noch ein paar Unterrichtsmaterialien einscannen. Ich sollte noch ein paar Listen anlegen. Ich müsste mal die Packliste durchgehen. Ich wollte noch einmal an die Schüler schreiben.
Die großen unbeantworteten Fragen an mich selbst: Wie wird es mir auf der Reise gehen? Wie werde ich mit dem Wetter, mit Stürmen und Seegang zurechtkommen? Wie damit, dass immer Menschen um mich herum sind, nette Menschen hoffentlich, aber immer noch: Menschen? Nie richtig allein. Vier Lehrer in einer Kammer. Wenn alle 4Ms gleichzeitig im Gang zwischen den Kojen stehen, geht das gerade so und nennt sich Lehrerkonferenz. Wie gut wird es mir gelingen, meine Rolle als Projektleiter auszufüllen, diese seltsame Mischung aus Lehrer, Reiseleiter, Zahlmeister, Disziplin- und Gute-Laune-Wart, Onkelfreund und schlecht gemachter Elternersatz?
Es gibt nur einen Weg, diese Fragen zu beantworten: Losfahren!
Manuel