Warum weht der Wind immer aus der „falschen“ Richtung?

Datum: 19. April 2016
Position: 47°52,1’N, 014°44,5’W
Etmal: 120 nm
Wetter: Wasser 11°C, Luft 12°C, Wind 7-8 Bft.
von Trixi

Seefahrt übt die Seeleute in Gelassenheit. Wir haben heute moderne Navigationsgeräte, die Sicherheitseinrichtungen sind ebenfalls auf dem neuesten Stand. Wir können von Bord der ROALD AMUNDSEN sogar über Satellitentelefon E-Mails verschicken und erhalten. Aber: wir können den Wind nicht ändern. Wir müssen uns fügen. Das ist oft das Schwierigste. Vor 6 Tagen hat die ROALD den Hafen von Ponta Delgada verlassen. Nach 1 1/2 schönen Segeltagen schlief der Wind ein. Der Nordatlantik zeigte sich nahezu unbewegt. Die Sonne schien von blauem Frühlingshimmel. Mit Maschinenkraft kamen wir zügig voran. Alle hofften auf Wind. Viele dachten aber, dass es auch mit Segelwind so friedlich bliebe. Am Sonntagmittag setzte Wind ein. Er wehte jedoch aus östlicher Richtung, also aus jener Richtung, in die wir wollen (und müssen). Wir setzten Segel und steuerten einen Kurs, der möglichst hoch am Wind und gleichzeitig noch gute Geschwindigkeit versprach. Voll und bei, sagen die Segler.

Im Laufe der Nacht briste es weiter auf. Mit angepasster Besegelung machten wir Weg nach Norden. Die Auswertung der Wetterkarte vom Montag weckte Hoffnung auf eine günstige Winddrehung im Laufe des Dienstagabend. Am Morgen des Dienstag war kein vernünftiger Kurs mehr zu segeln. Wieder nutzten wir die Hauptmaschine. Das hieß aber „gegenan“. Das Schiff stampfte, gierte und schlingerte. Jeder Schritt an und unter Deck wurde mühsam. Insbesondere die Kombüsen-Crew leistete mit Kraft, Geschicklichkeit und Einsatz Großartiges.

Der Nordatlantik war nun nicht mehr zahm und tiefblau. Die Wellen wurden größer, Dünung baute sich auf und Gischt kam reichlich über. Rasmus zeigte uns ein bisschen die Zähne. Wohlgemerkt: ein bisschen. Der Wind hatte 7 bis 8 Windstärken auf der Beaufort-Skala erreicht. Noch nicht einmal Sturm. Immer noch Starkwind, dann und wann mit stürmischen Böen. Die vieldiskutierte Frage, warum die Wetterlage so und nicht anders ist, kann zum Einen meteorologisch erörtert werden. Dies will wohl mein Steuermannskollege Mike tun. Man kann auch scherzhaft nach Gründen suchen. Da aber alle stets ihre Teller aufessen, der Klabautermann noch nicht gesichtet wurde und auch mehrere Rudergänger trotz versprochener Gummibärchen nicht den Wind zu drehen vermochten, kommen wir auch auf diesem Wege nicht weiter.

Das entscheidende Resümee ist: Wir können das Wetter – und damit den Wind – nicht ändern. In früheren Zeiten, also ohne brav brummende „Emma“, hätten wir solange nach Norden segeln müssen, bis der Wind gedreht hätte. Da es zu diesen früheren Zeiten auch kein GPS gab, hätten wir auch gar nicht genau gewusst, wo wir sind. Irgendwann wären wir in unserem Zielhafen angekommen. Zwischendurch wäre vielleicht der Proviant, ganz sicher das Trinkwasser knapp geworden. Aber unter jenen Bedingungen wären auch die Termine nicht so eindeutig festgeschrieben gewesen. Niemand der Seeleute damals musste am 30. April um 12:37 Uhr einen Zug ab Oostende erreichen.

Deshalb tut es gut, sich in Gelassenheit zu üben. Der Wind weht mit 7 bis 8. Aber das ist noch kein Sturm. Wir durften 4 sonnige Tage genießen, aber das hat nichts zu bedeuten. Der Nordatlantik im Frühjahr ist Winter im Nordatlantik.
Trixi

Grüße: LG an L. von A.