Günther

Datum: 26. April 2016
Position: 50°11,9’N, 000°26,2*W
Etmal: 92 nm
Wetter: Wasser 9°C, Luft 8°C, Wind 6 Bft.
von Leonhard

Viel zu lange schon schwebt er über das endlose Meer. Es war ein Fehler, das Festland zu verlassen, das weiß er. Doch Günther hat nicht vor, aufzugeben. Irgendwo in diesen endlosen Weiten muss es doch etwas geben, irgendetwas zum Festhalten, Richtung finden, Ausruhen. Eine Eisscholle zum Beispiel. Ein Stück Treibholz. Oder ein Containerschiff. Oder auch… etwas ähnliches. Günther findet ein längliches, sehr hohes Schiff, mit vielen tollen Orten zum Festhalten. Er lässt sich auf das weiße Deckshaus nieder, krallt sich in die Haftoberfläche und lässt seinen Körper sacken. Die abgenutzten braunen Federn schmiegen sich an seinen amselgroßen Leib wie die Daunen seiner Mutter während der Brutzeit. Sein länglicher Löffelschnabel legt sich auf seine Brust, stößt sanft aufs Metall unter ihm und stützt seinen Kopf im friedlichen Schlummer.

Tag Eins: Erkundung
Etwas Neues für mich, dieses Schiff. Starker Seegang macht meine tapsigen Schritte unsicher und mein langer Schnabel das Manövrieren auf Deck auch nicht leichter. Der starke Wind setzt da noch eins drauf. Schnell finde ich die sicheren Ecken, der Hohlraum unter der Brücke ist bisher mein Lieblingsplatz. Auch hinter dem Deckshaus ist wenig Wind. Einen anderen Vorteil hat diese Stelle auch, nämlich den Abstand zu den leuchtend bunten Organismen, die kreuz und quer übers Schiff wuseln und mich manchmal verfolgen, gar nicht angenehm. Das größte Problem bisher: Kein Watt in Sicht, in das ich meinen Schnabel tauchen kann, genauso wie erschreckend wenig Süßwasser. Immerhin trauen sich die Möwen nicht hier hin, mit denen hatte ich schon genug Probleme auf dem Weg.

Tag Zwei: Futtersuche
Auf der Suche nach Watt habe ich einige Organismen verfolgt. Bei meiner stündlichen Runde ums Schiff sehe ich sie, wie sie riesige Apparaturen bedienen, dabei laute Befehle rufen und dann wieder einige Stunden über mir auf der Brücke herumsitzen. Etwas finde ich immer wieder komisch, sie werden plötzlich mehr, treffen sich in der Mitte, und ändern so ihre Farbe. Während die meisten oben neongelb, mitte rot und unten schwarz sind, sind manche ganz gelb oder auch orange. Egal welche Farbe, Hilfe kann ich von ihnen nicht erwarten, dazu habe ich viel zu viel Angst vor diesen Riesendingern. Nur einmal, als ich mich in einem dünnen Draht verheddert hatte, hat mich einer gerettet. Ich habe dann überlegt, sofort weiterzufliegen, doch von oben sieht das Meer gleich viel größer aus als vom Schiff aus…

Tag Drei: Dringende Futtersuche
Nicht viel Energie zum Nachdenken mehr, muss was finden, irgendwas zum essen. Wegfliegen ist unmöglich, ich kann nicht mal mehr gut laufen. Noch tapsiger als sonst suche ich jede Stunde trotzdem unermüdlich das Schiff ab, vielleicht findet sich ja noch was, irgendwo. Habe letzte Nacht vom ewigen Watt geträumt, dem mystischen Ziel meines Lebens, wo der Große Wattwurm dafür sorgt, dass das Wasser nie sein Werk zudeckt…

Tag Vier: Keine Futtersuche mehr
Sehr erschöpft. Bin gescheitert. Das Schiff kämpft sich immer noch durchs Meer, Land kann ich keines entdecken. Selbst wenn eins da wäre, könnte ich niemals hinfliegen… Es ist so entsetzlich kalt, ich habe Durst, hab vor 18 Stunden aufgehört, kleine Kleckse auf dem Deck zu hinterlassen und mich in die hinterste Ecke verkrochen. O großer Ovior, ich danke dir für mein herrliches Leben in den Lüften, ich danke dir, dass ich die bunten Organismen ein bisschen begleiten konnte. Ich danke dir, dass ich nicht so geendet habe wie so manch andere Vögel, die auf offenem Meer auf eine Horde Seemöwen treffen. Ich danke dir für einen traurigen, aber geborgenen Lebensabend. Gute Nacht.

So, das war das, was wir von Günther 182 mitbekommen haben. Dazu einige Erklärungen: Günther ist ein Vogel, der sich auf die Roald verliert. Der Name kommt (natürlich) von findigen HSHSlern, die miterlebten, wie sich viele Vögel kurz auf dem Deckshaus ausruhten, um sogleich weiterzufliegen. Es gibt Vögel, die auf offenem Meer leben, die Schiffe zum Ausruhen nutzen, aber auch so in der Luft gut zurechtkommen. Es gibt Vögel, die den weiten Weg in ihr Zuggebiet auch über offenes Meer zurücklegen. Es gibt Vögel, die, wie hier im Kanal, die nächste Küste schon sehen. Die meisten schaffen es. Manche, wie Günther, dank seines unhandlichen Schnabels „Keine Peilung“ genannt, schaffen es dank widriger Windverhältnisse nicht, den Weg in ihre Heimat zu finden.

Sie können nicht mal von uns versorgt werden, wir hätten nur Körner oder Brot. Durch Füttern einen Vogel zum Bleiben zu motivieren wäre auch nicht gut, er gehört nicht auf ein Schiff und würde mit seinen Klecksen noch ganz andere Probleme verursachen. Das einzige, was wir ihnen geben könnten, wäre eine Schüssel mit Frischwasser. Unsere bunten Plastikschüsseln sehen die Vögel allerdings nicht als potenzielle Wasserquelle, außerdem würden sie bei Seegang über Bord gehen. Somit ist unser Schiff eine friedliche letzte Ruhestätte für schwache, verirrte Vögel, die sonst einfach irgendwann im Meer landen und ertrinken würden. Von uns werden sie per Seebegräbnis dem marinen Ökosystem zurückgegeben, wie es auch normal passieren würde. Günther ist mit ein bisschen über 3 Tagen die längste Zeit von allen Günthern an Bord geblieben und hat unser Leben als letzte Tat ein bisschen fröhlicher, abwechslungsreicher und drolliger gemacht. R.I.P. Günther

Zur Abwechslung jetzt noch etwas Fröhliches: Wir hatten zum Kaffee und Kuchen zum einen Schlagsahne, etwas, worauf ich mich in der Karibik immer gefreut habe, und zum anderen einen Poetry Slam mit selbstgedichteten Kunstwerken von Silbendrechsler Benjamin, Baronin Stella von Jambus und meiner Wenigkeit. Lyrische Kostproben der wahren Künstler an Bord (nicht ich) werden hoffentlich in Kiel der Eltern- und Großelternschaft vorgetragen. Wie bei uns in der kleinen Messe werden sie auch vor großem Publikum ihre Wirkung gewiss nicht verfehlen und in uns die Erinnerungen der Reise wachrütteln, das besondere Etwas in jedem von uns aufrütteln und den emotionalen Moment am Ende der Reise mit „freshen“ Witzen freirütteln.
Leonhard

Grüße: Mein allerliebstes Schwesterlein, ich wünsche dir alles, alles Gute zum Geburtstag! Hab einen schönen Tag und einen guten Start ins neue Lebensjahr! Ich vermisse dich und freu mich auf ein baldiges wiedersehen und vergiss nicht „Aquamartini ist out, Petersiliensoda ist in!“ Bis bald deine Karoline
Jona wünscht seinem Onkel Micha nachträglich alles Gute zum Geburtstag und hofft, dass es ihm gut geht.
LG an L. von A.
Melli wünscht Meggy alles Gute nachträglich zum Geburtstag! Hab dich lieb <3 Ganz ganz viele Grüße noch an meine Familie! Noch 11 Tage, dann habe ich euch wieder und ich wünsche Klari Oma und Opa Berci viel Spaß in Kiel. Eure Melli
Julian grüßt seinen Opa
Der Seelöwe grüßt Leipi, Delhi und…. ihr kennt´s ja alle. Naja, hab noch ein paar wenige Tage Schiffszeit und die wird auch oft vermaschiniert. Anders ist, dass die Roald sich nicht so lange wie möglich an der Küste langschiebt sondern möglichst mittig im Kanal fährt… kommt mir jedenfalls so vor. Bis bald am 4.5., dem letzten B&R Teil.