Geist über den Wellen?

Datum: 5. November 2019
Position: Straße von Gibraltar, 35°3 5,0″0 N, 014° 11″ W, Kurs 225°
Etmal: 164 nm
Wetter: Luft 20 °C, 1019 hpa, Wind N, 5 Bft., Bed. 1/8
von …?

23:00 Uhr, Wellen türmen sich wie sch warze Ungetümer vor unserem Schiff auf, bis sie laut tosend an unserem Bug brechen und das ganze Deck fluten. Keiner bleibt von der Gischt verschont, die mordlustig über das Schanzkleid fliegt. Wer als Ausguck die Brücke verlässt, kann sich sicher sein, diese nicht mehr trocken zu betreten, Meeresleuchten umspült wild funkelnd unsere Füße und bringt das Deck wie einen Sternenhimmel zum Leuchten. Knarrende und quietschende Segel lenken meine Aufmerksamkeit gen Achtern, Flüstern und Gemurmel jagen mir einen Schauer über den Rücken. Ist da wer? Doch keine Menschenseele nähert sich, um mich im Ausguck abzulösen, auch die Stimmen meiner Wachmitglieder kann ich durch den ständig heulenden Wind gegenan nicht gehört haben. Doch woher kommt das Getuschel? Verstört drehe ich mich wieder um, um meiner Pflicht aus Ausguck nachzukommen. Bilde ich es mir nur ein oder tanzt ein weißer Geist über den Wellen? Kaum blicke ich auf den Horizont, schlägt eine monströse Welle über dem Klüverbaum zusammen, spült jedes nooch so kleine Staubkörnchen von Deck und lässt mich klitschnass mit meinen verschreckten Gedanken über Ursula S. im Dunkel der Nacht, die allein ein voller Mond erhellt, alleine.

Man muss wissen, Ursula S., Tochter des allgemein bekannten Albino-Afrikaners Jens, spukt seit 20 Jahren nächtlich durch die in blaues Licht getunkten Gänge, nachdem sie während des 7. HSHS-Törn in Kuba spurlos verschwand. Seitdem tauchen regelmäßig herrenlose Hygieneprodukte, Pullis etc. auf, Adiletten und Mützen verschwinden und auch der Dosen- und der Kühllast traut sich keiner mehr zu nähern, nachdem um 03.00 Uhr morgens laute Schmatzgeräusche aus den hell erleuchteten Lasten tönten. Auch kam es schon mehrmals vor, dass sich Leute nach ihrer 4-Stunden-Wache über ein gewärmtes Bett mit zerknautschter Bettwäsche wunderten.

Ursulas Treiben und die immer weiter verbreiteten Horrorgeschichten führten so dazu, dass sich niemand mehr alleine in die Lasten traut oder ohne Begleitung eine Feuerronde machen, geschweige denn länger als 30 min. Ausguck ohne menschliche Kollegen machen möchte. Denn niemand weiß, was oder wer als nächstes dran ist. Es kann jeden treffen…

… Neuer Tag, neue Wache, neues Glück, denn für 4 der 9 Trainees aus Wache 3 begann der Tag produktiv mit einem Spanischcrashkurs, in dem wir innerhalb von 2 Stunden zahlreiche spanische Ausdrücke, von einfachen Kennenlern-Dialogen bis hin zu Ortsfragen- und Angaben lernten. Ach ja: Somos un grupo de estudiantes de Alemania. Viajamos con un baco de vela tradicional a Costa Rica (falls es euch interessiert, keine Garantie auf Rechtschreibung). Spätestens jetzt kann sich (hoffentlich) jeder notgedrungen in Costa Rica (oder einem der 16 anderen Spanisch sprachigen Ländern) zurechtfinden – muchas gracias dafür Luisa (auf Accents noch weniger gewähr, mit diesem Computer sowieso nicht möglich, so wie ich das will).

Belohnt wurde unser fleißiges Lernen und Wache gehen dann mit Nudeln und Tomatensauce, bei dem es manche nicht lassen konnten, sich 5 Mal nachzunehmen (vielleicht ist an der Sache mit dem Zunehmen doch was dran?). Sogar die Sonne ließ sich eine Zeit lang ohne Regenwolken blicken! Nachdem sich die hungrige Meute dann endlich gesättigt hatte und im strahlenden Sonnenschein zur Ruhe gekommen war, folgte direkt der nächste Programmpunkt: ein All-Hands, bei dem die zwei wichtigsten Themen, die Pünktlichkeit und die Sauberkeit, angesprochen wurden. Ach ja: Vincent ist jetzt der Toilettenbeauftragte! Herzlichen Glückwunsch (einziger Nachteil: er darf entscheiden, wer die dreckigen Toiletten putzen muss). Kaum hat der Kapitän sein letztes Wort gesprochen, so stürzt die Schülercrew schon wieder los- natürlich zum Essen. Bratäpfel- das erste Anzeichen unseres Smuts Potti, dass es schon November ist! Keiner kann es fassen, dass in 49 Tagen schon Weihnachten ist, bei min. 21 Grad. Nicht einmal die Wolken sehen nach November aus (sagte Maya). Nun liegen wir wieder an Deck, genießen die Sonne, erzählen Geschichten- und warten auf die nächste Mahlzeit. Und bevor ichs vergesse: Schiff in Sicht! Tschö mit ö
Eure Stimmungskrake

Tim grüßt seinen Papa
Freddy grüßt Schere
Morgen grüßt Freddy Hund
Anna grüßt ihre Großeltern
Cristoph grüßt Natalie