Kolumne: „Die Sicht der Gegenstände“

Liebe Leserinnen und Leser, die Blog-Kolumnen gehen in die 3. Runde! Trotz Landaufenthalten in Dominica und Martinique haben wir uns nicht nehmen lassen, uns in die Sichtweisen von ganz gewöhnlichen Gegenständen, die für uns selbstverständlich sind, hineinzuversetzen. Der allgemeine Bordalltag und all seine Unterschiede wurde ihnen ja schon erklärt, aber haben sie sich mal gefragt, wie die folgenden Gegenstände über den täglichen Ablauf denken und wie sie sich fühlen? Nein? Na dann los!

Spill

„Meine sehr verehrten Damen und Herren, hiermit möchte ich mich zu Wort melden! Wir sind nun schon zwei Monate auf dieser besonderen Reise unterwegs, die aus kleinen Jugendlichen große Erwachsene macht. Und glauben Sie mir, ich weiß, wovon ich spreche. Der Atlantik ist überquert, das große Blau überwunden – ein ganz besonderer Anlass, um uns hier zu versammeln.

Dies ist nun schon meine 680. Reise, mein 680. Törn, den ich als Teil dieses Schiffes verbringe. Und ich muss wahrlich sagen, dass ich bis jetzt keinen Törn erlebt habe, den man auch nur annähernd mit dieser Reise vergleichen könnte.

Zu so einer Reise gehört viel Mut, eine Tugend, die diesen Jugendlichen auf keinen Fall fehlt. Niemand, wirklich niemand traut sich nicht, ins Rigg zu klettern; alle stellen sich dem oftmals mit Unmut aufgenommenem Freund, der Backschaft und wirklich jeder bekämpft den Schlafmangel und traut sich zum Wachwechsel. Sie trotzen Wind und Wellen, stellen sich der aufdampfenden Gischt, um gen Westen die Karibik zu erreichen.

Jede einzelne Wache, egal ob 1, 2 oder 3, entwickelte während der letzen 25 Tage ihre eigenen „Traditionen“ und Arten, ihre täglichen acht Stunden so schön wie möglich zu gestalten. Egal wie unterschiedlich diese Umgehensweisen auch waren; sie reichten von wundervoll gekrächztem Gesang über Sterne gucken zu Schokolade essen; wir alle können sagen, dass diese von der Seefahrt inspirierten Menschen einen ganz außergewöhnlichen Bordalltag mit einer wundervoll positiven Stimmung schufen.

Man muss schon sagen: der Gruppenzusammenhalt ist in diesem zusammengewürfelten Haufen immens gewachsen, aus einer Gruppe, die unterschiedlicher nicht hätte sein können, wurde eine Gemeinschaft, die zusammen durch Dick und Dünn geht. Ich erinnere mich noch sehr gut an das allererste All-Hands dieser Reise; an die Zeit, in der alle lieber Zeit mit der Familie verbringen wollten und Angst vor dem großen weiten Atlantik hatten. Jetzt, zwei Monate später können alle nur über ihre Furcht vor dem großen Nass lachen, die die Gruppe trotzdem noch wie kein anderer Törn forderte.

Für diese Gemeinschaft war der Teideaufstieg auch nicht ganz unbedeutend. Alle wuchsen zusammen, Lehrer sowie Schüler motivierten einander in den schwersten Zeiten, wenn Schwefeldämpfe Bauchschmerzen bereiteten, steile Wege und Steine den Aufstieg immer anstrengender machten oder der Gipfel nicht näher zu kommen schien. Mit den gleichen Leuten auf so wenig Platz 24/7 zusammen zu sein, der immer gleiche Tagesablauf, das frühe Aufstehen und das Heimweh stellen ganz andere Herausforderungen dar, als es Wellengang, Sturm oder verschiedene Notfälle tun. Und ohne Zweifel: die Gruppe hat diese mit Bravur gemeistert!

All diese Herausforderungen spalteten die Gruppe nicht, nein, sie schweißten sie nur noch mehr zusammen. Jeder einzelne trug dazu bei, dass das Leben auf dem Schiff so wundervoll ist, wie es ist. Aus einem undurchsichtigen Wollknäuel wurde eine Gemeinschaft, die man wahrhaftig als Crew bezeichnen kann. Und darauf können alle stolz sein! Vielen Dank!“

Steuerrad

„Na endlich! Waaaaachwechsel! Erlösung! Hoffentlich kommt jetzt mal ein Rudergänger, der was taugt und nicht nur in Schlangenlinien fährt! Immer dieses Rumgedrehe und -gezerre, eine alte Dame ist doch kein D-Zug. Immer mit der Ruhe min Jungs, die Karibik läuft euch nicht davon! Alles braucht seine Zeit, so auch das Einsteuern…

Wenn ein neuer Kurs, neuer Segeltrimm oder ein anders einfallender Wind die Ruderlage ändert, kann das auch mal bis zu 10 Minuten dauern! Da bringt es nichts, wie wild geworden am Ruder zu drehen, Probieren geht über Studieren. Selbst eine halbe Ruderumdrehung kann viel bewirken und uns allen eine ruhige Nacht bescheren.

Immer dieses Gemeckere über den Wellengang! Sollen sich die Rudergänger mal anstrengen anstatt 15 Grad Ruder zu legen! 24/7 werde ich durchgeschüttelt! Ich sage euch, wäre ich ein Mensch, hätte ich schon längst ein Schleudertrauma… Zum Glück bin ich aus altem Holz. Na endlich: Da kommt die Ablösung. Auch gut für den Toppsgast, der erst zum Essen entlassen wird, wenn Rudergänger und Ausguck von der aufziehenden Wache abgelöst worden sind. Und Seeluft macht hungrig!

Und ich? Ich darf hier draußen Wind und Wellen trotzen und dabei zusehen, wie meine Freunde, die Nagelbänke, geschliffen, gewaschen und mit wohlwollendem Tonki eingerieben werden! Mani- und Pediküre umsonst. Ich werde nur begrapscht und das nicht mal mit meinem Einverständnis! Mein einziges Schönheitsmerkmal? Ein türkischer Bund um eine meiner Kronenzacken und der ist nicht mal ohne Grund da: er soll den Rudergänger unterstützen und zeigen, wann eine volle Ruderumdrehung (2,5 Grad) geschehen ist. Die besten Jahre hat das Ding aber auch schon hinter sich…

So! Nun wird nach dem zu steuernden Kurs gefragt— der ist im Moment 270. 2…7…0 ! Musst du jetzt noch drei mal nachfragen? Das verstehe ja sogar ich- und ich bin nicht mehr die Jüngste! Husch husch, ab zum Steuermann mit dir, Kurs abnehmen lassen! Ich halte dieses Gekurbel nicht mehr aus! Heiligen Dank an die Steuerfrau: Der Kurs ist abgenommen und der alte Rudergänger weg vom Fenster – äh…Ruder.

Immerhin 30 Minuten Ruhe, mal sehen, wer danach ans Ruder geschickt wird… durchschnittlich muss ja jeder Trainee jeweils zwei Mal am Tag mein Haupt zerzausen. Gekrängt bin ich davon, jawohl gekrängt, bei der Schieflage, die wir immer haben! Aber auch ich muss zugeben, dass es schon durchaus schlimmere Reisen mit durchaus schlimmeren Rudergängern gab, diese hier hätten sogar das Zeug zum Amateur-Rudergänger… Oh je, jetzt dreht der Wind… alles seefest verstauen, die Achterbahnfahrt beginnt!“

Bramfall

„Bramfall, Bramfall, Bram-, Bram-, Bram-, Bramfall…
Am Gording vor mir zieht ein schönes Mädchen.“

„Schon seit Wochen liegt mir dieses Lied in den Ohren! Jetzt fragt ihr euch sicherlich, woher dieses wundervolle Lied kommt und was es zu bedeuten hat. Ich kann es euch sagen! Seit dem bunten Abend in Teneriffa hat jeder, wirklich jeder diesen Ohrwurm. Bei dem Fest wurden viele schöne Beiträge vorgebracht. Unter anderem dieses Lied. Es ist eine Parodie von „Im Wagen vor mir“, die aber meiner Meinung nach jetzt viel besser klingt. Ausgedacht und vorgetragen wurde es von Smut Stefan und Toppsgast Jürgen. Sie hatten sich bekannte Lieder herausgesucht und sie so umgedichtet, dass sie zur Roald passen. Das beste Lied war natürlich das umbenannte „Bramfall“! Es wurde allein mir zur Ehre geschrieben. Das habe ich aber auch wirklich verdient! So oft wie jemand bei hohem Seegang gegen mich fällt…Aber naja, es kann ja nicht jeder so toll sein wie ich.

Aber zurück zum Thema. Neben meinem schönen Lied hat auch Wache 1 etwas gesungen. Wenn ich mich genau entsinne, dann ging es irgendwie so: Die Wache 1, das ist die beste Wache, komm spleiss dich ein….Es klingt auch sehr gut, aber ich muss sagen, der Text übertrifft nicht den Lobgesang meines Liedes. Von Wache 2 wurden Pantomime vorgestellt, welches ordentlich durchgespielt worden ist. Auch Wache 3 stellte ein volles Programm. Gedichte zu Ehren des Smuts, ebenfalls ein umgedichtetes Lied und Verabschiedungsreden füllten den Abend. Aber nicht nur die Wachen gaben sich Mühe. Auch die Backschaft tischte ein tolles Abendessen auf und dekorierte das Deck. Das sah doch tatsächlich mal ganz schön aus.

Auch an uns Tampen wurde gedacht! Gordinge wurden durchgeholt, damit niemand darin hängen bleibt und sie ordentlich aussehen. Brassen wurden ebenfalls durchgeholt, beziehungsweise gefiert, damit auch die Rahen gut dastehen. Und an wen wurde nicht gedacht? Genau, an mich! Obwohl ich ja der schönste Tampen bin. Aber ich bin nicht nur wunderschön! Ich bin auch sehr wichtig zum Setzen des Bramsegels. Ich ziehe nämlich das Segel hoch. Dabei wird an mir herumgezerrt wie sonst was…Da sollte man doch meinen, dass man mit einem so tollen Fall, wie ich es bin, vorsichtig umgeht.

Naja, jedenfalls hatte die Crew an dem Abend ihren Spaß, mir wurde ein Lied geschenkt und ich wurde besungen. Also sage ich jetzt auf Wiedersehen! Denkt an mich, den schönsten Tampen auf dem Schiff, das Bramfall!“

Kaltwasserhahn

„So, jetzt bin ich dran! Ich erzähl euch mal ein bisschen über den Seegang und was Backschaften dadurch so in der Kombüse anstellen können. Aber, fest, halt, ich muss mich ja erstmal vorstellen. Also mein Name ist „Kaltwasserhahn“ und mein Wohnort ist in der Kombüse an Backbord. Ich werde hauptsächlich zum Wasserflaschen auffüllen benutzt oder wenn die Backschaft trotz des raren Süßwassers eine Wasserschlacht veranstaltet. Von meiner Position aus, ganz oben, kann ich die ganze Kombüse überblicken…von dort aus habe ich schon viele lustige, brenzlige oder einfach schöne Augenblicke miterlebt… Bevor ich anfange, müsst ihr wissen, dass die Schüler in der Zeit, an der sie an Bord sind, schon so viel über das Kochen gelernt haben, dass das Essen allen sehr gut schmeckt. Auch die ersten Befürchtungen, dass es erstmal nur Nudeln geben wird, nachdem der Smut von Bord ging, waren unbegründet. So, jetzt habe ich viel mehr gesagt als ich eigentlich wollte, also lasst uns beginnen.

Wie ihr alle wisst, kann es schon mal so hohen Wellengang geben, dass die Töpfe in den Schränken herumrutschen und es sich so anhört, als ob die Kombüse auseinander fallen würde. In diesem meist 10 sekundenlangen Moment wird die Backschaft ganz ruhig und versucht alles, was nicht niet- und nagelfest ist, irgendwie festzuhalten. Auch wenn der Smut den Schülern beigebracht hat, Messer immer unter das Schneidebrett zu packen oder das Brett selber auf ein nasses Handtuch zu legen, damit es nicht wegrutscht, kann es durchaus mal sein, dass in der Hektik etwas vergessen worden ist….Und schon segeln die für das Frühstück vorbereiteten Brötchen durch die Kombüse…dicht gefolgt von Flüchen oder Stöhnen. Auch wenn das frisch gewaschene Besteck von der Arbeitsfläche fliegt und lautscheppernd auf den Boden ankommt, wird erstmal der Seegang beschimpft. Gleich darauf hört man die Backschaft wieder gut gelaunt Lieder trällern.

So, bevor ich jetzt zu viel erzähle oder etwa noch Geheimnisse, die in der Kombüse ausgetauscht werden, ausplaudere, möchte auch ich mich verabschieden. Es war mir eine Ehre! Vielleicht sieht man sich ja beim „Flaschenauffüllen“ in der Bordküche!“

Briggschot

„Liebe Familien, Freunde, Bekannte und interessierte Leserinnen und Leser! Es verzückt mich, als achterlichstes Tau der wunderschönen Roald, als Briggschot, sie zu einem Bericht eines Tages auf See aus meiner Perspektive begrüßen zu dürfen. Der allgemeinen Zeitrechnung zufolge beginnt mein Tag um 00:00 Uhr. Anders als Menschen bin ich 24 Stunden am Tag wach und bekomme alles mit, was sich hinter dem Deckshaus, aber auch in der Kombüse abspielt.

So sehe ich immer kurz nach dem Wachwechsel, wie zwei junge Trainees aus der 0-4 Wache verschlafen in die Kombüse taumeln und einige Schüsseln Mehl, Zucker, Salz, Hefe, Öl und Wasser auf eine der Arbeitsflächen stellen. Ganz klar: sie machen Brot- und Brötchenteig; erst den Hefeansatz, dann den Brotteig und anschließend den Brötchenteig. Die Schüler stellen die Brotformen in den Bräter, jetzt nur noch schnell den Brötchenteig abdecken und fertig. Doch wie das nun mal so ist, muss am Ende noch eine der höheren Wellen kommen und die Brötchenteigschüssel setzt sich in Bewegung, bis sie nach einem freien Fall auf dem Kombüsenboden zum Stillstand kommt. Zum Glück richtig herum – es ist nichts passiert.

Spannend, was man als Briggschot so alles sieht, nicht wahr? Doch das war erst der Anfang. Als Nächstes, in der 4-8 Wache, werden die Brötchen geformt. Auch dabei geht es bei Seegang ganz schön zur Sache. Um 06:00 Uhr kommt dann die Vormittagsbackschaft in die Kombüse. Als erstes wird Kaffee gemacht. Wenn die Backschaft das vergisst, ist es meist Golko (Nils), dem das als erster auffällt- und sie daran erinnert. Apropos Golko: Er ist einer meiner besten Freunde, genauso wie Karlo. Sie leisten mir oft Gesellschaft, wenn sie in der Raucherecke stehen und ihren Blick über den Ozean schweifen lassen. Die beiden kenne ich schon echt lange. Sie erzählen mir oft Geschichten von Gischt, die sich über das Vorschiff ergießt oder von den legendären Wasserschlachten unter den Schülern oder von sonstigen spannenden Dingen, die sich vor dem Deckshaus abspielen.

Doch ich schweife ab. Der Kaffe ist fertig und die Backschafter beginnen damit, den Obstsalat zu schneiden, welcher inzwischen unter anderem Sternfrüchte und Ananas enthält. Nach und nach erwacht das Schiff auch unter Deck zum Leben und die Musik wird angemacht. Am liebsten mag ich es, wenn Bob Marley läuft. Bei der Musik, gepaart mit dem Wetter und dem blauen Wasser der Karibik kann ich mich am besten entspannen.

Frühstück vorbereiten, Käse- und Wurstteller, Brot, Brötchen, Marmelade, Butter, Müsli und natürlich den Obstsalat auf die Tische verteilen, nachfüllen, wenn etwas leer ist und nach dem Essen abwaschen. Es ist immer die gleiche Prozedur, welche bei den jungen Seeleuten offenbar schon zur Routine geworden ist.

Doch genug von der Backschaft. Eigentlich ist es jeden Tag mehr oder weniger das Gleiche und was wirklich Besonderes passiert in der Kombüse nur selten. Den Großteil der Zeit denke ich nach, schaue, ob ich Delfine, fliegende Fische oder Wale sehe und schnacke mit den Besuchern der Raucherecke. Bei der Gelegenheit grüße ich alle Briggschoten der sieben Weltmeere und leiste ihnen seelischen Beistand bei ihrer verantwortungsvollen Aufgabe!“

Mit diesen Worten verabschieden wir uns ganz herzlich von euch und hoffen, dass ihr nun unseren Bordalltag besser nachvollziehen könnt! Ein herzlicher Gruß an alle Familien und Freunde, Adee, bleibt schee
Anna, Tim und Tamara.

Synchronsprecher:

Spill: Anna
Steuerrad: Anna
Bramfall: Tamara
Kaltwasserhahn: Tamara
Briggschot: Tim