Datum: 26. April 2020
von Lara
So, jetzt mal kurz alles stehen und liegen lassen, bitte. Mal kurz den Fernseher stumm schalten, Stift liegen lassen oder Buch zuklappen und zuhören. Folgende Situation fand neulich in Kammer 2 statt: Alle Bewohnerinnen tummelten sich nach dem Mittagessen in der Kammer und unterhielten sich über den hervorragenden Kaiserschmarren und darüber, dass Tamaras und Ilkas Backschaftsklamotten dringend in die Wäsche gehören. Plötzlich, als hätte sie der Blitz getroffen, fuhr Ilka auf, schaute uns entsetzt an und sprach: „Leute, ist euch klar, dass Montag das letzte Mal sein wird, dass wir unsere Wäsche auf der Roald waschen? In einer Woche wasche ich meine Wäsche zuhause.“ Entsetzen durchfuhr die gesamte Kammer 2. Wie recht sie doch hatte. In einer Woche würden sie alle zuhause sein. Ein Ort, den sie in 7 Monaten nicht gesehen haben und der ihnen nun absurd weit weg vorkommt. Zum Greifen nah und doch so weit entfernt.
Und so begann auf der Roald und in der HSHS Schülercrew „die Zeit der letzten Male“.
Wir alle erinnern uns noch an „Die Zeit der ersten Male“. Das erste Mal Backschaft, das erste Mal Rudergehen, das erste Mal ins Rigg aufentern. Es fühlt sich fast wie gestern an, da saß ich selbst in meiner Koje und dachte mir: Das ist also mein Zuhause für das nächste halbe Jahr. Eine unglaublich lange Zeit. Und jetzt sitze ich hier in meiner Koje und muss dieses Zuhause bald wieder verlassen.
Die Zeit der letzten Male ist furchtbar emotional, alle werden nostalgisch und wehmütig. Spätestens, wenn dem letzten auffällt, dass wir uns bald alle voneinander verabschieden müssen (wenn auch nicht für immer), geht das große Heulen los. Man merkt es jetzt schon. Der Abschied liegt schon längst in der Luft. Wir schrieben einander Abschiedstexte in die Poesiealben, die Planungen für den letzten Abend und den Tag des Einlaufens in Kiel laufen.
Und dann geht es los: das letzte Mal Waschtag. Das letzte Mal Backschaft. In ein paar Tagen geht es dann weiter. Das letzte Mal Ankern. Das letzte Mal Segel setzen. Das letzte Mal Segel wieder Bergen und packen. Am schlimmsten sind zweifellos die letzten Tage. Das letzte Mal Wache. Das letzte Mal Ruder und Ausguck gehen. Das letzte Mal alle zusammen Abendessen. Die letzte Nacht in der Koje. Das letzte Mal wecken. Das letzte Frühstück. Das letzte Mal alle in den Arm nehmen. Und dann der letzte Blick auf die Roald, bevor man ins Auto oder in den Zug steigt.
Ich bin mit Sicherheit nicht die einzige, die Angst vor dieser Zeit hat. Einerseits ist es wirklich schön melancholisch auf die letzten Monate zu schauen und dankbar für diese Zeit zu sein. Und natürlich freuen wir uns alle auf unsere Heimat, die Familie und alle Freunde. Jedoch wird es mir sehr schwer fallen die Roald und all die Menschen, die zu ihr und dieser Reise gehören zu verabschieden. Die Menschen, die für mich Familie geworden sind.
Ich meine, wie soll ich bitte zuhause überleben? Wie kommt man nach sieben Monaten 24/7 Zusammenleben mit Menschen mit einem eigenen Zimmer klar? Mit einem Haus, in dem nur drei Menschen wohnen statt 45? Wie verbringt man seine Zeit, wenn man nicht 8 Stunden Wache am Tag geht? Wie geht man mit den eigenen Freunden um, die sich innerhalb eines halben Jahres wahrscheinlich völlig anders entwickelt haben als man selbst? Wie kann man den Menschen zuhause erzählen, was man auf dieser Reise alles erlebt hat? Diese und viele weitere Fragen stelle ich mir und ich bin sicherlich nicht die einzige.
Ich denke, dass einzige was wir tun können ist, die letzten Tage zu genießen. Wir können die Zeit nicht anhalten, aber wir können sie nutzen. Um uns von allen richtig zu verabschieden, so viel mitzumachen wie möglich ist (nach dem Motto Schlaf lässt sich auch nachholen) und so viele Fotos wie möglich zu machen. Und dann haben wir keine andere Wahl als das, was uns nach der Reise erwartet, auf uns zukommen zu lassen. Ich bin schon gespannt!
Ich möchte mich bei allen Schülern bedanken, die mich schon seit Monaten begleiten. Bei allen, die dabei waren, die mit mir um die halbe Welt gesegelt sind, mit denen ich lachen und weinen konnte, die für mich da waren, wenn ich es gebraucht habe und mit denen ich in diesem halben Jahr mehr erlebt habe als in den letzten 16 Jahren meines Lebens. Ihr seid mir alle ans Herz gewachsen und ich kann mir gar nicht vorstellen, dass es bald vorbei ist. Vielen Dank an den Stamm, der uns seid dem Probetörn und seit Eckernförde und Kiel begleitet, an jeden Einzelnen, der mitgefahren ist. Wir haben von euch viel gelernt und ihr habt einen bleibenden Eindruck hinterlassen.
Tut mir leid, dass das jetzt so emotional geworden ist. So ist sie nunmal, die Zeit der letzten Male. Liebe Grüße von der gesamten Crew an Bord an alle, die zuhause auf uns warten. Wir freuen uns auf euch!!!
Lara