Land in Sicht

Datum: 16. Oktober 2015
Position: 51°24,1’N, 003°05,7’E
Etmal: 37 NM
Wetter: Wasser C, Luft C, Wind 2 Bft.
von Anton

Heute war einer der spannendsten Tage seit dem letzten Sonntag, der zum einen schon bei einigen in Vergessenheit geraten ist und andererseits schon gefühlt Monate hinter uns liegt. Erstmals konnten wir heute „ausschlafen“, was bedeutet, dass wir erst um halb acht geweckt wurden. Nach dem Frühstück hievten wir dann den Anker und nahmen Kurs Richtung Ostende. Gegen Nachmittag hieß es dann zum „All Hands“ an Deck kommen. Als ich, den Mittagsschlaf noch in den Augen, aus meiner Koje stieg, hörte ich plötzlich flatternden Lärm. Da wusste ich schon Bescheid, was uns an Deck erwarten würde. Ein Helikopter der belgischen Royal Navy schwebte über den Masten der Roald Amundsen.

Wir waren nun Teil einer Rettungsübung, bei der zwei Besatzungsmitglieder des Helikopters auf das Deckshaus abgeseilt wurden. KP, die Deckshand der Wache 1, nahm die beiden dort oben in Empfang und bot ihnen einen „Kuchen to fly“ an, den sie aber, wahrscheinlich aus Sicherheitsgründen, ablehnten. Durch den Wind des Helikopters bekamen wir auch das erste Mal Salzwasser ins Gesicht. In einigen von uns weckte diese Übung den Traum, einmal als Marinehubschrauberpilot zu arbeiten, und sie war für uns alle ein Highlight. Dazu vielen Dank an Koene, der diese und die gestrige Übung organisiert hat. Um circa halb sechs liefen wir in Ostende ein, schleusten und machten fest. Unser erster Landaufenthalt kann jetzt beginnen! Zum ersten Mal wurden Handys und Taschengeld ausgeteilt, was bei manchen zu kleinen Freudeausbrüchen geführt hat.

Um einen Überblick über die Stimmung unter den Schülern zu bekommen bat uns unser scheidender Kapitän Michael, unsere Stimmungslage in Form von Wettererscheinungen zu beschreiben. Die Schilderungen reichten von langsam aufklarendem Sonnenaufgang über Augen von Stürmen bis zu Nebel und strahlender Sonne. Gerade sitzen wir in der Messe, spielen Karten und hören Tobis Gitarrenklängen zu. Die Stimmung auf der Roald ist ziemlich gut, aber wir sind etwas traurig, weil uns nun einige Crewmitglieder verlassen werden. Viele Grüße an Freunde und Familie und alle, die sich für unsere Reise interessieren!  
Anton

Von einem Anker zum nächsten

Datum: 15. Oktober 2015
Position: 51°42,5’N, 003°22,1’E
Etmal: 24 NM
Wetter: Wasser 13°C, Luft 8°C, Wind 2 Bft.
von Jorge

Mein Tag begann wie immer damit, dass die Wecker der 8-12 Wache uns pünktlich eine halbe Stunde vor Mitternacht aus unseren Kojen holten. Als wir uns nach und nach an Deck versammelten, waren von der vorigen Wache schon Strecktaue, an denen wir uns sichern mussten, über das gesamte Deck gespannt worden, denn Wind und Seegang hatten in den letzten Stunden stark zugenommen. Weil wir den perfekten Wind der letzten Tage ausgleichen mussten, begannen wir gegen 00:30 damit, sämtliche Segel zu bergen, um das Schiff daran zu hindern, weit an unserem Ziel Vlissingen, wo am nächsten Abend eine wichtige Übung bevorstand, vorbei zu segeln. Währenddessen sorgten KP und Michael dafür, dass wohl niemand mehr weiterschlafen konnte, indem sie den Steuerbordanker fallen ließen. Daraufhin drehten wir alle Rahen unserer beiden Masten, um dem Wind eine möglichst kleine Angriffsfläche zu bieten. Als unsere Deckbeleuchtung eingeschaltet wurde, damit auch wirklich jedes Schiff uns an unserem Ankerplatz erkennen konnte, und uns auffiel, dass wir praktisch alle Taue einmal von der Nagelbank genommen hatten und nun wieder aufräumen mussten, beschlossen wir, erst einmal eine Tee- und Zwiebackpause einzulegen.

Nachdem auch diese Hürde genommen war, machten wir gemeinsam „Klardeck“ und verbrachten die letzten eineinhalb Stunden unserer Wache damit, verschiedenste Sicherheitsübungen zu wiederhohlen und uns von Heike am Radar einweisen zu lassen. Bis zum Mittagessen durfte unsere Wache schlafen. Als wir schließlich gegen 13 Uhr den Anker lichteten, half ich zusammen mit Sabine und Felix die Ankerkette ordentlich zu stauen, und wir fuhren unter Motor Richtung Vlissingen.

Nach einem frühen Abendbrot kamen drei Mitglieder der Lodug, einer Organisation zur Ausbildung von Ersthelfern, an Bord, die uns zeigten, wie schwierig Erstmaßnahmen, die ja in der Theorie alle beherrschten, mit wenig Platz unter Deck auszuführen sind. Gegen 19.30 Uhr wurden mit einem Boot der niederländischen Seenotretter Schauspieler an Bord gebracht, die geschminkt im Schiff verteilt wurden und möglichst schnell und richtig verarztet werden mussten. Nach gut eineinhalb Stunden (alle Patienten hatten überlebt), hatten einige die Chance auf dem 2000PS starken Seenotrettungskreuzer eine Runde zu drehen und alle, die uns bei der Übung geholfen hatten, wurden mit Tee, Kaffee und Kuchen versorgt. Während wir Schüler langsam in unsere Kojen krochen, ließ die Stammcrew den Anker erneut fallen, um für eine ruhige Nacht zu sorgen. Mast- und Schotbruch
Jorge

P.S.: Ich grüße alle meine Freunde und Familie in Osterholz-Scharmbeck und Villingen-Schwenningen.