Irgendwann hat alles ein Ende

Datum: 26. April 2019
Position: 50°11,8’N, 000°26,2’W
Wetter: Luft 12,6°C, Wasser 11,2°C, Wind S, 3 Bft.
Etmal: 142 sm
von Myriam

Es fühlt sich surreal an. Dies ist mein letzter Tagesbericht der Reise. Es ist krass, was alles passiert ist. Und bewundernswert, wie sich die Gruppe Stück für Stück weiterentwickelt hat, wie wir uns alle langsam eingespielt haben. Wir agieren inzwischen fast wie ein Uhrwerk. Wir haben uns teilweise aneinander angepasst, kennen die kleineren und größeren Laster und Marotten eines jeden Einzelnen und arbeiten (meistens) gut und fließend zusammen, wie die Wellen um uns herum. Gemeinsam haben wir einiges durchgestanden, Stürme und Großreinschifftage überwunden, sind durch dick und dünn gegangen.

Es wird komisch sein, bald von Bord zu gehen und dieses inzwischen so gewohnte Leben hinter uns zu lassen, unsere Mitstreiter nicht mehr jeden Tag zu sehen, einige vielleicht sogar nie mehr. Wir werden uns jedenfalls nicht in einem solchen Umfeld ein zweites Mal treffen und so viele für uns inzwischen alltägliche Situationen werden bald nur ferne Geschichte sein. An unsere sieben Monate werden wir dann nur noch zurückdenken und erzählen können, wie schön es war. Die Reise – mit diesen Personen und dieser Route – werden wir nicht wiederholen können.

Hinter uns liegt eine große Ansammlung an kleinen Erfahrungen, die alles zusammenfügen und das große Ganze ausmachen. Für jeden einzelnen von uns sieht diese Ansammlung anders aus. Und für alle setzt sie sich vermutlich aus guten, interessanten, lehrreichen, aufregenden, traurigen, schmerzhaften, beglückenden bedrückenden und begeisternden neuen Erfahrungen und Erkenntnissen zusammen. Wir werden sie mit in unser weiteres Leben nehmen und sie werden für immer unsere eigenen sein.
Myriam

PS: Claudi sendet Katha ganz liebe Geburtstagsgrüße!

Abends in der Messe

Datum: 28. März 2019
Position: 31°31,0’N, 060°11,7’W
Etmal: 139 sm
Wetter: Luft 20°C, Wasser 20°, Wind NE, 4 Bft.
von Myriam

Wenn die Kombüse kurz vor der Abnahme steht, die Backschaft des nächsten Tages mit Proviant von der Last in Richtung Kombüse läuft, der Wachwechsel zur 8-12-Wache stattgefunden hat und viele Crewmitglieder schon in den Kojen liegen, ist in der Messe oft noch eine gemütliche Stimmung bis sich irgendwann auch die Letzten eine „Gute Ruh“ wünschen. Gelegentlich ist atmosphärische Jazzmusik aus einem der vielen Bluetooth-Lautsprecher zu vernehmen, während nette Gespräche geführt werden. Manchmal dürfen wir auch einen gut gelaunten Robin beobachten, der zum Vergnügen aller im Gang tanzt.

An einigen Abenden werden so manche Kartenspiele ausgepackt. Es weden Trümpfe und Stiche bei Wizzard abgegeben. Hitzige Streitereien werden über die Spielregeln von UNO geführt. Beim Häufeln werden Zwischenablagestapel vergrößert und wieder verkleinert. Bei einer netten Mädelsrunde Rommé wird aus vollem Herzen über Spielvorhergehensweisen und Witze gelacht. Nicht mehr so häufig werden zurzeit die Spiele „Bullshit“, „Lügner“, Doppelkopf und Poker gespielt.

Donnerstage sind bei uns Doku-Donnerstage. Michi packt dann seine Folgen von „Blue Planet“ aus und wir dürfen Naturwunder des beeindruckenden Meeres um uns herum bewundern. Uns werden Wale, Aale, Delfine, Quallen und Korallen vorgestellt und Michi erklärt nach jeder Folge immer noch einige kuriose Dinge der Unterwasserwelt. Ebenso gemütlich ist es an Samstagabenden in der Messe: Erschöpft und ausgemergelt vom Großreinschiff sitzen wir dann nach erledigter Arbeit in der Messe, genießen den Popcorngeruch aus der Kombüse und stimmen über die drei zur Auswahl gestellten Filmvorschläge ab, bevor wir dann den Spielfilm, der die meisten Stimmen erhalten hat, schauen.

An anderen Abenden hat sich schon so manch einer zurückgezogen und nur ein paar Gestalten neben der Wache sind noch in der Messe anzutreffen. Manche sitzen geschäftig arbeitend über dem Laptop oder einem Schreibblock. Aufgaben für die Schule werden bearbeitet oder Tagesberichte geschrieben. Und immer wieder werden hierbei natürlich von Land mitgebrachte Vorräte an Chips und Schokolade geplündert. Manchmal wird die Messe auch zum stillen Lesesaal. An einem Sonntagabend war gemütliche Stille angesagt. Es wurde in spannenden Büchern gelesen, Tagebücher wurden gefüllt, es wurde phantasievoll gemalt und über Kopfhörer Musik oder Hörbücher gehört.

Unsere Messe ist und war immer Dreh und Angelpunkt unseres Lebens hier an Bord. Sie ist unser Gemeinschaftsraum. Wir essen hier, haben Unterricht hier und chillen hier. Sie ist unser Wohnraum, mit einem Kühlschrank, in dem unsere beliebten Getränkedosen klirren. Unsere Bordbibliothek, die wir auf Bermuda zum Teil neu befüllt haben, befindet sich dort. Und vor allem kann man einfach dort sitzen und das Kommen und Gehen der uns so vertrauten Personen beobachten, 24 Stunden am Tag. Wie in einem Kammertheater, in dem die vielen Charaktere auf- und ablaufen und ihren eigenen Betätigungen nachgehen. Mit lieben Grüßen,
Myriam