Alles hat ein Ende, nur die Johnny hat zwei

Datum: 12. April 2021
Position: Horta, Faial, Azoren
Wetter: regnerisch, bewölkt
von Selma

Puh Freunde… das ist nun mein letzter Tagesbericht von meinem Alltag auf der Johnny und ich muss zugeben, ein bisschen schwer um’s Herz wird einem schon, wenn man bedenkt, dass Horta nun unser vorletzter Hafen und der letzte Stopp ist, wo wir die Gastlandflagge hissen und die Reise nun allmählich ein Ende nimmt. Die Insel Faial ist auch die letzte fremde Insel, die wir erkunden werden. Das letzte Ziel, wo wir nicht wissen, was uns in dieser Welt erwartet. So wird auch (zum Bedauern aller) das wöchentliche Großreinschiff immer weniger und beim Nachrechnen bin ich auf nur noch drei Mal Backschaft bis Kiel gekommen. Jetzt könnte man natürlich noch weiter rechnen, wie viele Stunden man noch in der Kombüse verbringen müsste und dass dann auf die ganze Fahrt beziehen. Aber das würde viel zu weit gehen und meine mathematischen Fähigkeiten weit überstrapazieren… hehe…

Manchmal habe ich das Gefühl, dass sich unser kleines Universum schneller um die Sonne dreht als der Rest der Welt. Anders kann ich mir nicht erklären, dass die Tage hier so schnell vorbeigehen wie die Wellen an unserer Johnny vorbeiziehen. Da würde ich mir manchmal schon wünschen, dass unser kleines Universum wie ein „schwarzes Loch“ funktioniert. Denn dort vergeht die Zeit langsamer als auf der Erde. So wird es zumindest in Stephen Hawkings Buch „Eine kurze Geschichte der Zeit“ beschrieben, das Anabel gerade liest. Leider lässt sich unsere Zeit nicht anhalten, das musste mir zu oft auf diesem Törn bewusst werden. Jede Tätigkeit an Bord, die in sechs Monaten zu einer Normalität für uns geworden ist, wird bald nur noch als schöne oder „lästige“ Erinnerung in unseren Köpfen existieren. Und wenn das Gedächtnis versagt, helfen nur noch Fotos, sei es analog oder digital. Sie helfen einem, in Situationen zurückgebeamt zu werden, die vermeintlich in den hintersten Ecken unseres Unterbewusstseins existieren, doch andererseits von so großer Bedeutung sind, dass man, sobald die Erinnerung wieder parat ist, den Moment so vor Augen sieht, als würde man ihn erneut durchleben.

Als ich letztens meine Tagebucheinträge von den ersten Tagen auf Missi las, musste ich an einigen Stellen schmunzeln, wenn nicht sogar lachen, weil sich die Ereignisse wie ein Kurzfilm vor meinen inneren Augen abspielten und ich mich dabei an sämtliche Konversationen und Mimiken erinnern konnte. Irre, nicht wahr?! Da jede/r eine bestimmte Situation anders erlebt, beeinflussen positive bzw. negative Erlebnisse unsere Erinnerungen. Es sind die Erinnerungen, die unsere Reise zu der machen, die sie ist. Erinnerungen an Gespräche, lautes Gelächter und leise Tränen zeichnen unsere Highseas 2020/ 2021. Wenn ich dann zu Hause die anspruchsvolle Frage „ Wie war eure Reise?“ gestellt bekomme, werde ich vermutlich kurz und knapp „ intensiv“ antworten und die andere Person in ihrem Wahn an Fragen alleine lassen. Denn wie soll man eine Reise beschreiben, die einem alle Seiten vom Leben gezeigt hat?

Intensiv waren besonders die Nachtwachen, in denen man so viel über die anderen erfahren und gelernt hat. Die Stille und Dunkelheit der Nacht lässt leichter tiefsinnige Gespräche entstehen und schnell vertraut man den anderen das ein oder andere Geheimnis an. Vier Stunden schaffen auch Zeit zum Nachdenken über sich selbst, die anderen und vor allem die Zukunft nach High Seas. Diese Stunden sind wie eine Auszeit von der Routine und dem Trubel an Bord. Umso verrückter ist es, dass, sobald man sich an eine Routine gewöhnt hat, sie sich wieder für uns ändert. So sind die zwei Mal vier Stunden Wache und an den anderen Tagen der Unterricht unsere Routine auf der Johnny. Im großen Universum können nur die Menschen, die selber einmal in einem kleinen Universum leben durften, nachvollziehen, was dass heißt. Krass, dass auch der Schulunterricht nun zu Ende geht und wir ab jetzt nur noch nautisch auf den SBF-See vorbereitet werden. So plötzlich, wie wir in dieses neue Leben rein geraten sind (wir wurden nämlich mehr oder weniger ins „kalte Wasser“ geschmissen), so werden wir auch wieder heraus gerissen. Dass vermehrt Abschiedsstimmung aufkommt, lässt sich auch bei Gesprächsthemen der Schüler*innen und Lehrer*innen nicht vermeiden. Am häufigsten hört man dabei die Fragen: „Was möchtest du als erstes machen, wenn du wieder zu Hause bist?“ oder „Was wirst du am meisten vermissen?“

Ich werde am meisten vermissen, dass auf dem Schiff immer irgendwo etwas los ist oder dass man in allen Lebenssituationen immer jemanden zum Reden hat. So schnell und intensiv wie auf diesem Schiff lernt man niemanden in sieben Monaten kennen und ich denke, besonders, das wird mir fehlen. Wir Jugendliche schaffen es auch bei unangenehmen Aufgaben Spaß zu haben und zum Beispiel mit Musik zu motivieren oder irgendjemand denkt sich irgendeinen Quatsch aus, in den schon bald alle einsteigen. Es ist auch sehr interessant zu sehen, wie sich Freundschaften auf der Reise verändern und weiterentwickeln und wie eng neue Freundschaften in kurzer Zeit werden können. Es wird ungewohnt sein, diese bedeutenden Menschen, mit denen man tagein, tagaus die gleichen Dinge durchlebt, nicht mehr um sich herum zu haben. Natürlich freuen wir uns dennoch sehr auf zu Hause und alle Menschen, die wir dann wieder sehen können.
Selma

Grüß dich:
Selmo wünscht dem besten Papa auf der Welt Happy Birthday nachträglich: „Wenn ich wieder da bin, feiern wir nach, dann bekommst du auch mein Geschenk 😉 Hab dich ganz doll lieb!“
Leni grüßt Merle und wünscht ihre Alles Gute zum Geburtstag

Hände weg vom Steuer!

Datum: 10. Februar 2021
Position: 22°07,6’N, 080°27.4’W (auf Reede vor Cienfuegos)
Wetter: bewölkt, heiß
von Selma

Es sind nun vier Monate der Reise vorbei. Drei ungewisse und aufregende liegen noch vor uns. Mit der schnell vergehenden Zeit, wird einem langsam klar, dass mit Beendigung der Zeit auf Kuba die Heimreise angetreten wird. Es geht Richtung Osten! „Es sind noch 3 Monate, da kann noch so viel passieren. Denk doch nicht schon über die Heimreise nach!“ Gleichzeitig sind es aber auch nur noch 87 Tage und wir wissen alle, die Zeit versegelt am schnellsten, wenn es am schönsten ist.

Nicht mal 12 Stunden nach der Vollendung von Fredos Blog-Eintrag haben wir gestern vor Cienfuegos geankert. Das Manöver war gegen halb sechs und wurde somit von der B-Wache gefahren. Da lag ich bereits wieder in meiner Koje und hörte es nur ein paar Mal ordentlich ruckeln. Vorher war ich noch die entspannteste 0-4 Wache gegangen, die ich je hatte. Wir waren so nah an Land, dass uns Großwetter erspart blieb und Ausguck gehen wurde uns vom Brückendach gestattet. Von dort aus hatten wir einen traumhaften Blick auf die Sterne und das nächtliche Kuba. Besonders groß ragte der uns allen bekannte „Große Wagen“ am Himmelszelt hervor, den wir hier aber verkehrt herum sehen, was mich anfangs schon ziemlich irritiert hatte. Natürlich war unser Blick aber nicht nach oben, sondern nach vorne gerichtet, um Tom, unserem Steuermann, Lichter wie Leuchttürme oder Fahrzeuge zu melden.

Und es wurde noch besser: Jonne und Caspar brachten uns warmen Kakao nach oben, den wir hinten am Ruderstand schlürften. „It was a vibe!“ In jener Nacht war es so „kalt“, dass wir sogar in Hoodies und Jogginghosen froren. Um euch zu schocken: Es hatte um die 24°C. In Deutschland laufe ich bei solchen Temperaturen in T-Shirt und kurzer Hose herum. Wenn man sich einmal an tropische Temperaturen gewöhnt hat, wird einem eben auch leicht kalt, sobald die Sonne „hasta luego“ sagt und still und leise hinter´m Horizont verschwindet. Vor uns erstreckte sich leuchtend und blinkend Kuba. Genau die Insel, auf die ich mich die ganze Reise lang so gefreut hatte. Es vergingen Monate voller Hoffen und Bangen. Lässt Corona es zu, dass wir Kuba überhaupt anpeilen werden können? Als in Grenada die Routenplanung vorgenommen wurde, war ich schon erstaunt, dass wir tatsächlich nach Kuba aufbrechen werden. Tage und Nächte vergingen und ohne dass man es merkte, wurde die Meilenzahl immer kleiner. Plötzlich waren es nur noch 500 sm, dann 100 und mit einem Mal ragte wie aus dem Nichts grünes Festland aus dem Nebel heraus und die ersten brüllten: „SCHLAND IN SICHT!“. Voller Erwartungen, was diese Insel für uns so alles zu bieten hat, fuhren wir in die Nacht hinein. Am Ende unserer Wache waren wir nur noch 5 sm von Cienfuegos entfernt.

Da der Kapitän angeordnet hatte, erst nach Sonnenaufgang in die Bucht zu fahren, schalteten wir die Maschine aus und trieben so dahin. „Hände weg vom Steuer!“, hieß es dann. So übergaben wir um 4:00 die Wache ohne Kompasskurs und berichteten der aufziehenden Wache, dass erstmal kein*e Rudergänger*in gebraucht wird. Glücklich fielen Anabelchen, Anselminsky (Johanni fehlte wegen Backschaft ?) und ich in unsere warmen Kojen und freuten uns mal so richtig auszuschlafen und erst um 12:00 für das Mittagessen aufzustehen.

Tja… falsch gedacht! Morgenstund´ hat Fieberthermometer im Mund! Um 09:00 wurden wir aus den Kojen geholt. Es hieß wir sollten unsere Temperatur von kubanischen Ärzten messen lassen, die dafür extra per Motorboot an Bord kamen. Im Anschluss stand dann wieder unser Lieblingsritual an: der PCR-Test. Mittlerweile ist das aber so zur Routine geworden, dass es sich nicht mehr so schlimm anfühlt, wie damals auf Barbados. Und außerdem erwartete uns an Land noch eine positive Überraschung und wenn ich positiv schreibe, meine ich nicht den Corona-Test. Sondern es war Nathalie, die uns hinter einer Absperrung zuwinkte. Was mehr wie eine Filmszene wirkte, war leider wahr. Wir durften nur auf Distanz durch einen Zaun mit ihr reden. Aber, dass wir sie wiedertrafen, war „mit Abstand“ das schönste an diesem Tag. Jetzt müssen nur noch unsere Testergebnisse negativ sein, dann kann sie uns endlich an Bord besuchen kommen.

Nach dem Mittagessen, das wir alle 36 im Gewächshaus eingenommen hatten, erreichte uns eine weniger erfreuliche Nachricht. Fritzi kündigte eine Mathearbeit an, die nacheinander erst von Steuerbord und anschließend von Backbord geschrieben wurde. Die Gruppe, die gerade nicht in der Sauna (alias Messe) die Klausur schrieb, musste das Deck schrubben. Meine Gruppe war für´s Vorschiff verantwortlich und was passiert, wenn man mir den Wasserschlauch überlässt? Nicht nur das Deck wird ordentlich nass, sondern auch alle anderen die zu ihrem Unglück danebenstanden, das Beiboot und die Kombüse. Johannes kam hochgesprintet und teil, dass ich gerade dabei sei, die Kombüse zu fluten. Wir hatten vergessen der Backschaft Bescheid zu geben, die Kombüsenluke zu schließen. Upsii! Shit happens! Die restliche Zeit bis zur Prüfung hustelten wir noch Mathe und dann ging es auch für uns in die Höhle des (Party-) Löwens Fritzi Schu (sound effect: tam tam tam). Um ja keine Vor- oder Nachteile zu haben, verließ die Steuerbordgruppe über die achternen Niedergänge den Tatort, während die Backborder am Vorschiff auf das Signal von Fritzi warteten, über den Pumakäfig in die Messe zu gelangen. Da sich die Luft in der Messe ordentlich staute, war es trotz offener Bulleyes unerträglich schwül und ich kam mir vor wie in einem Gewächshaus. Um uns die 70 Minuten angenehmer zu machen, fächelte Fritzi uns mit einem Pappkarton frische Luft zu. Diese kühle Brise – wenn auch nur für eine Momentaufnahme – war göttlich. Was ein Luxus ala Fritzi Schu!

Nach dem Abendessen wurden auf dem Vorschiff wieder Whiteboard und Beamer aufgebaut und sich mit Kissen und Schlafsäcken gemütlich gemacht. Alle, die Interesse hatten, konnten nochmal die ersten 3 Teile der Kuba-Doku schauen. Der Regen prasselte auf die Sonnensegel und alle quetschten sich unter die Plane, um noch halbwegs trocken zu bleiben. Das Kinoflair war gelungen!

Heute früh hatten wir dann ganz normal einen Unterrichtstag vor Anker. In Spanisch übten wir nochmal typische Floskeln zur ersten Kommunikation in Kuba und übten diese in Zweiergruppen. Danach hatten wir PoWi bei Raphael, wo wir unsere in den letzten Tagen und Wochen vorbereiteten Vorträge final vorstellen konnten. Jede Gruppe bestehend aus 3 Personen hatte sich zu ihrem Thema Wissen angeeignet und überlegt, wie sie es dem Rest möglichst in einer kreativen Form beibringen konnte. So gestaltete eine Gruppe zum Thema „Bundespräsident“ eine Präsentation mit einer selbstgezeichneten Karikatur, wieder eine andere hatte einen selbstaufgenommenen Podcast über den „Bundestag“ für uns vorbereitet.

In der Mittagspause versteckten sich alle vor der Hitze. Ob unter den beliebten Sonnensegeln, dem „Kühlschrank“, wie die 4er Jungs-Kammer von Hippo und Julius genannt wird oder dem schön gekühlten Pumakäfig, sich sonnen wollte keine*r. Komisch, nicht wahr?! Von Merle und Jan weiß ich aber, dass Mondlicht zum Sonnen völlig ausreicht. „Man muss ja Prioritäten setzen!“ Ansonsten lässt sich nur noch „VIVA CUBA LIBRE“ sagen und macht´s gut!
Eure Selmo…

…die sich für die flachen Witze in diesem Blog entschuldigt, aber nach so vielen Tagesberichten gehen einem auch irgendwann die Ideen aus… 😉

P.S.: Falls ihr euch übrigens Wissen rund um Kuba aneignen wollt oder dieses erweitern möchtet, empfehle ich euch Fredos Blog vom 09.02.2021 oder die Dokus „Geheimes Kuba“ von ZDF Info.

Grüße:
Selmo grüßt ihre Familie und freut sich schon auf´s telefonieren! Ganz besonders Nukipuki: „Du fehlst mir sehr, schwesterherzl.“
Robert grüßt die Familie Eichmann-Prusch und wünscht Melodie nochmal alles Gute zum Geburtstag /Außerdem grüße ich Naschi und wünsche ihm auch nochmal alles Gute zum Geburtstag!!!
Jasmin grüßt Die ganze Schwiebusser 42!! Wir sind wunderbar auf Kuba angekommen und ich bin sehr gespannt, was uns hier so alles erwartet?? ich hoffe der Winter in Berlin ist schön. Liebe Grüße auch nochmal an Ingo Ebert und Danke fürs Kontaktvermitteln??
Apfelsine grüßt Gewürzgurke: „Freu mich auf alle Updates von dir und vermisse dich mucho<3!!“
Fredo grüßt seine Familie. An Mama:“ Ich freue mich, dass es geklappt hat mit Gran Canaria, die Fotos konnte ich leider nicht laden. An Papi:“ Danke, dass du das mit dem Praktikum organisiert hast. An Kathi:“ Such du aus wie es aussehen soll, ich konnte das Foto nicht laden“.
Vali wünscht Julia alles gute nachträglich!!!! „Ich hoffe du hast schön gefeiert Süße ?? (trotz Corona yk..) Oh und ich freu mich mega mal wieder was von dir zu hören ich glaub da gibt es einiges nachzuholen“
So dann gibt´s da aber noch ein paar mehr die ich grüßen muss:
Ich grüße Franzi meine Sicherheitsfrau, Elsbeth meine Elsbeth, Lettiii wir müssen wieder Horrorfilme schauen, Maja I am still searching your sugar daddy, Laura Mausi, Johanna wie ist Physik so ohne mich, Kekemek Eslem, Isaaaaabeeellaaaa, Ilke die Milkte hahahahah Spaß Spaß, Jule geht’s du immer noch gerne in die Schule ach nee stimmt online schooling, Lea Bauer von dir hab ich auch ewig nichts mehr gehört und zur guter Letzt Sara ich sag dir hier ist es so heiß wie in der Sahara hahahah
Anabel grüßt ihre Eltern, „Ich hoffe die beiden Chaoten zuhause sind nicht zu anstrengend! Hab euch lieb!“ und ihre Großeltern, „Ich vermisse euch und hoffe, dass ihr trotz Corona nicht zu viel Langeweile habt. Aber ihr könnt ja den Blog hier lesen ??. Hab euch lieb!“ und an die beiden Chaoten zuhause, „Brennt das Haus nicht ab!“