Schland in Sicht

Datum: 3. Mai 2021
Position: deutsches Hoheitsgebiet
Wetter: grau, verhangen, Luft 8°C
von Timana

Schland in Sicht! Wochen, nein Monate lang wurde dieser Ruf bei den offensichtlich falschesten Inseln geprobt und mindestens genauso lange ist er mir auf die Nerven gegangen. Schließlich war Deutschland ja überhaupt nicht das Ziel und ich wollte wirklich was von den karibischen Inseln haben. Als es dann aber gestern Abend/ heute Nacht so weit war, war es gar nicht so spannend. Es ist kühl, recht ruhig, wolkenverhangen und Steuerbord ziehen die westfriesischen Inseln der Niederlanden vorbei. Den Übergang zu Deutschland hat man kaum mitbekommen. Okay okay, ich habe es nicht mitbekommen, aber ich lag auch in der Koje, um vor der 0-4 Wache noch ca. 2 ½ Stunden Schlaf zu bekommen.

Es ist ein sehr seltsames Gefühl um Mitternacht aufzustehen, wenn der Rest noch in der Messe sitzt und für den Sportbootführerschein lernt oder Briefe schreibt. Wir haben eine Abmachung, dass alle Schüler*innen und Lehrer*innen jedem einen Brief mitgeben. Das ist ja eine sehr schöne Idee, aber irgendwie ist es halt auch verdammt viel Arbeit mal eben noch 29 Briefe schreiben zu müssen. Da ich nun seit dem 30.04. das erste Mal auf der gesamten Reise die Nachtwache hab‘, ist es für mich noch sehr ungewohnt, mit „Gute Nacht, Leute“ aufzustehen und rauf auf Wache zu gehen. „Guten Morgen, nautische Kompetenz“, kommt die Antwort. So nennen mich einige seit dem Wachwechsel, an dem ich zur 2. Steuerfrau ernannt worden bin spöttisch. Es ist auch nicht sonderlich motivierend, wenn jeder, der es bis jetzt noch nicht gehört hat, anfängt zu lachen, aber es ist okay. Schließlich hat niemand mit mir gerechnet, ich am allerwenigsten.

Wider alle Erwartungen haben wir gestern doch für ein paar Stunden die Segel gesetzt. So hatte die neue Schülercrew wenigstens ein Segelsetzen und ein Segelbergen. Es ist natürlich nicht perfekt gewesen, aber ich fand es doch recht gut. Und diese doofen „nautische Kompetenz“-Sprüche sind genehmigt unter dem Blickwinkel, dass man sich unterstützt, wenn es drauf ankommt und einander akzeptiert. Ich bin auf jeden Fall unglaublich dankbar für die Erfahrung, es hat sehr Spaß gemacht.

Die Wache übernehmen wir auf Höhe Norderney und übergeben in der schwachen Dämmerung (4:00 Uhr morgens) kurz nach Wangerooge. Jan hat sich sehr gefreut, den Leuchtturm melden zu dürfen, von Spiekeroog selbst konnten wir leider nichts erkennen. Nach der Wache lege ich mich wieder für ca. 2 ½ Stunden hin, lass mich aber für’s Frühstück wecken. Sehr untypisch für die 0-4 Wache, da sie die einzigen sind, die das Frühstück verschlafen dürfen. Darum bleiben die meisten abends noch bis zur Wache wach und schlafen dann bis zum Mittag. Doch dafür mag ich den Morgen viel zu sehr und fünf Stunden Schlaf müssen dann halt reichen.

Schließlich war das Motto auf dem Probetörn noch „schlafen kannst du, wenn du zuhause bist“. Doch auf dem Haupttörn hat das selbstverständlich niemand durchziehen können (auch wenn einige recht nahe dran waren). Doch zu diesen Verrückten gehöre ich ausnahmsweise mal nicht, dafür schläft man bei dem Geschaukel viel zu gut. Gott sei Dank, denn am Morgen sind wir bereits am Anfang der Elbe. Sehr erschreckend, wie schnell wir vorankommen. Während wir am Ufer entlang fahren, bin mir nicht sicher, ob ich es wunderschön oder echt hässlich finden soll. Tja norddeutsch halt: Das Land ist platt, der Himmel grau und doch hat es was. Wir bereiten alles auf die Fahrt durch den Nordostseekanal vor. Dazu muss die Breitfock gedumpt werden, also so schräg nach oben gedreht werden, dass sie nicht mehr über die Reling ragt. Außerdem wird aufgeklart und die Festmacherleinen für die Schleusen bereitgelegt.

Friederikes Bruder Maxi, der uns als Maschinisten-Anwärter von Barbados bis Kuba begleitet hat, hat seinen Flugschein genutzt, um uns auf der Elbe einen kurzen Besuch aus der Luft abzustatten. In der Schleuse wartet dann Gerhard, unser Kapitän von der Etappe Kuba – Martinique, mit Süßigkeiten auf uns. Endlich habe ich die wahre Bestimmung dieser Wurfleinen entdeckt, mit deren Hilfe wir die Tasche mit der süßen Verpflegung an Bord gehangelt haben. Es ist so schön, alle coolen Leute, die wir kennenlernen durften, nochmal wiederzusehen.

Kurz vor der Schleuse übernehmen wir wieder die Wache, sodass die Schleuse und das Stück danach noch unser Gebiet ist. Sehr gemütlich fahren wir durch den Nordostseekanal. Links und rechts wachsen die Bäume mit den jungen, hellgrünen Blättern und den Kirschblüten, von denen ich die letzten Tage und Wochen geträumt habe. Zudem schallt das Vogelgezwitscher zu uns herüber. Juhuh, Frühling! Ich habe mich entschieden: Ich finde es schön hier! In der Zwischenzeit wurden die Handys ausgeteilt und man kann die Vorfreude auf Zuhause förmlich übers Schiff pulsieren spüren, doch viele finden die Vorstellung des baldigen Endes auch beängstigend. Schließlich sind wir ein Team und der Abschied wird definitiv schwer. Und ich bin nicht allein damit, wenn ich sage, dass die Johnny sich auf der letzten Etappe noch einmal extrem dieses „Zuhausegefühl“ zurückgeholt hat. Es ist unser Schiff. Von jedem von uns, egal wie sehr manche es zeitweise verflucht haben.

In der Abenddämmerung verlassen wir den Kanal und im Dunkeln ankern wir in der Strander Bucht. Auch wenn ich weiß, dass es für viele noch ein gutes Stück bis nach Hause ist, bin ich nun angekommen. Die letzten Seewachen sind vorbei und nach über 12.000 Seemeilen haben wir die Reise nun streckenmäßig geschafft. Ich habe diesen Beitrag im Blog übernommen, damit Anselm seine letzte Backschaft noch mal voll genießen kann. Mein letzter Blog, als es mir auf Martinique nicht so gut ging, wurde ja auch übernommen. Tja, manchmal sind wir hier halt auch mal nett zueinander. Ohje, ihr werdet denken, dass wir alle eine Macke nach der Reise haben. Einfach, weil so viel in der Zeit passiert ist.
Timana

P.S.: Ich grüße alle, die an der französisch-belgischen Grenze Mai- und Walpurgisfeuer hatten: Danke, dass ihr mir die Nacht erhellt habt.