So weit weg und doch so nah

Datum: 28. April 2021
Wo: 49°40,7′ N, 007°07,3′ W (Höhe Islands of Scilly)
Wetter: wolkig und kalt
von Hippolyt

Oft liege ich in meiner Koje und denke nach: Ich denke darüber nach, dass wir in einer Blechkiste hin und her tuckern, auf dem Atlantik, zwischen großen Wellen und über Tausenden Metern von Wasser. Das Motto ist, dass die Kinder nach der Reise als junge Erwachsene zurückkommen. Ich stelle es mir gerne so vor, dass wir hier wie Blumen wachsen, alle in anderen Farben, Größen und Arten. Wir sind eine Blechkiste, die überfüllt ist mit Leben, Liebe, Freude und natürlich auch Frust. Die Blumen und ihre Gefühle geben ihr Farbe.

Wir machen richtig Fahrt gerade, heute Morgen haben wir versucht, das Schonertopsegel zu setzen (das hat wegen des zu starken Windes nicht geklappt). Trotzdem fahren wir mittlerweile zehn Knoten und wenn es so weiter geht, sind wir bald an unserem Ziel angekommen. Daher mussten wir gestern all unsere exportierten Waren bevor der Zoll an Bord kommt sammeln und gut verstecken. Unser Versteck: Der Zollschrank.

Am heutigen Tag jedoch habe ich Backschaft und während die Kombüse, ähnlich wie eine Sauna, heiß und stickig ist, dringt bei meinem Frischluftgang an Deck eiskalte Seeluft im Überfluss durch meine Kleidung hindurch auf meine nackte Haut. Draußen frieren mir beinahe die Hände ab, daher begebe ich mich lieber früher wieder unter Deck und flüchte weniger oft aus der zwar stickigen, jedoch warmen Kombüse. Ich verstehe heute, wo ich nicht da draußen stehe, nicht, wie die Wachgänger es schaffen, vier Stunden in der Kälte zu stehen. Doch, wie die Weisen es sagen: Es ist nicht zu kalt, man ist nur zu dünn angezogen.

Der Himmel ist mittlerweile auch nicht mehr hellblau mit einer strahlenden gelben Sonne in der Mitte, sondern eher eine große weiße Masse, die ausschaut wie ein Becken voll Watte. Naja, solange sich dieses Becken nicht dazu entscheidet, auszukotzen, was in ihm ist, ist alles in Ordnung. Nass werden wir genug von den Wellen, die andauernd über die Reling schlagen. Zwischen den ganzen dunklen und nichtssagenden Wolken dringt manchmal doch die Sonne hervor, und bringt den schönen Himmel, den sie braucht um ihre gesamte Pracht vorzuführen, mit. Diese Momente lernt man dann, wenn sie seltener werden, immer mehr zu schätzen.

Während die Wellen nun wieder, anstatt im Wasser zu bleiben, an Deck schwappen, denke ich wieder an die Zeit im Englischen Kanal am Anfang der Reise. Nun befinden wir uns wieder da und ich merke jetzt richtig, dass wir am Ende unserer Rundtour angelangt sind. Und während ich gerade die letzten Akzente in meinem Blog setze, schneiden wir noch immer mit unserem bunt geschmückten Schiff durch die Wellen und sind in zehn Tagen in Kiel. Ich freue mich auf meine Familie und will sie nun mit meinem letzten Blog-Eintrag alle grüßen!
Hippolyt

Grüße:
Fritzi grüßt ihre liebste Staphanie und wünscht ihr alles alles erdenklich Liebe und Gute zum Geburtstag! Ich freue mich schon, wenn wir gemeinsam nachfeiern können <3
Merle grüßt ihre Familie und ganz besonders Ben: Viel Erfolg beim Lernen, du schaffst das, hab dich lieb!
Caspar grüßt seine Schwester Elena und seine Großmutter und wünscht alles Gute zum Geburtstag!!
Lara grüßt ihre Großcousins in Irland: „Sind quasi an euch vorbei gesegelt“ 🙂
Selma grüßt ihre Eltern, Nuki und Jimbo: Genießt noch die letzten Tage ohne mich:)
Clara: „Lieber Papa, sorry ich hab den letzten Blog verpasst, aber ich wünsche dir noch alles, alles Gute nachträglich zum Geburtstag. Ich hoffe Dir geht’s gut und du hattest einen schönen Tag. Dein Geschenk kriegst Du, wenn ich dann bald wieder da bin.:)“
Emil grüßt seine Familie und hofft das Mahdi ihn fährt 🙂

Denken und Schwenken

Datum: 26. Februar 2021
Position: zwischen Kuba und Jamaica
Wetter: hohe Wellen, blauer Himmel, Luft 27°C
von Hippolyt

Ich bin groß, bin blau und nehme mit, was ich in’n Griff bekomme. Ich bin einer von tausenden Händen, die alle zum selben Körper gehören. Ich kann mich von meinem Körper trennen, aber egal, wo ich hinkomme, ich komme immer zurück. Die Wellen nehmen wieder zu und sie haben Einfluss auf uns als Crew, genauso sehr wie auf unserer Reise nach Martinique: Die hohen Wellen zeigen, dass der Wind zugenommen hat und da wir als Segelboot auf den Wind angewiesen sind, ist dieser meist ein gutes Zeichen. Naja, alle guten Sachen haben auch seine schlechten Eigenschaften: Die bleichen Gesichter der Schülerschaftscrew auf den Gängen, den Klos und an der Reling nehmen wieder zu und die Unterrichtsstunden ab (was natürlich sehr bedauerlich ist). Um euch zu beruhigen: Heute haben wir die Leichenfänger an der Reling befestigt, denn die Wettervorhersage für die kommenden Tage ist nicht besonders gut. Wenn die Wellen uns greifen, müssen sie uns loslassen, da uns die Leichenfänger auffangen.

Oft denke ich darüber nach, wie sich mein Ansichtsbild von Weite verändert hat. Ich schaue in die Wellen und sehe in den Horizont: Nichts außer die See, ewige Wellen, die unendlich lange, mal größer, mal kleiner von Ufer zu Ufer wandern. Früher hätte ich über die eintausend Seemeilen von Kuba nach Martinique als einen Flug von höchstens einer Stunde gedacht. Heute sehe ich den Wind, der in die Segel blähst und dabei unser Schiff durch die Gegend schlendern lässt, mit keinem Ziel in Sicht, nein, nicht mal in Gedanken. Trotz mancher kniffliger Sachen, die in den letzten Tagen auf See passiert sind, genieße ich die Zeit wieder. Nach den zwei Wochen auf Kuba sind die letzten Tage eine schöne Erholung, und fast schon eine Art Meditation. Während ich in die Weite schaue und die wunderschönen Farben des Sonnenuntergangs begutachte, denke ich viel über mich selber nach, die vergangene und weiterhin kommende Zeit. Zeit habe ich viel auf See und vertreibe mir diese hier oft mit Lesen. Ich setze mich abends oft mit einer Stirnlampe hinter den Ruderstand und lese. Ich beruhige mich immens beim Lesen und falle dann oft in Gedanken über das Leben auf dem Schiff und das Danach. Hier habe ich gelernt das Lesen wirklich zu schätzen!

Ich überlege mir gerade, wie lange der Törn schon war und wie lang er noch sein wird (Herausgekommen ist, dass es nicht mehr so lange anhält). Wie wird das Gefühl sein, wenn ich nach der Reise zum ersten Mal wieder in meine Heimatstraße einbiegen werde? Einerseits riesengroße Freude, dass ich wieder bei meiner Familie bin und alle Gemütlichkeiten von daheim habe, aber andererseits das Wissen, dass ich das Leben an Bord nie wieder so haben werde, wie ich es hatte.

Jetzt, wo ich fast fertig bin, schaue ich immer noch auf das Wasser. Die nun schwarzen, vom Mondlicht leicht glänzenden Wellen schleichen um das Boot. Ich sehe zwar nicht besonders viel, aber wissen tue ich, dass wir uns in mitten eines ewigen Labyrinths befinden und uns in Moment durchkämpfen müssen. In den ganzen Gedanken, in denen ich in den letzten Tagen schwebe, denke ich besonders viel an meine unersetzbaren Großeltern. Daher grüße ich heute die beste Omama und den besten Udo!
Hippolyt

Grüße:
Friedi grüßt ihre liebste Hanno-Gang und freut sich riesig auf eure Sprachi. Und die Lieblings-Kollegen Gang ?? Ich vermisse euch
Jasmin grüßt Sunsun
Julius grüßt seine Mama
Caspar grüßt sein Vater