Das Hier und Jetzt

Datum: 9. April 2021
Position: 37°01,0’N, 033°09,8’W
Wetter: Gewitter, Wind 4 Bft.
von Frederick

Nun sitze ich hier mit meinem viel zu süßen Tee in der Messe und schreibe meinen letzten Blog-Beitrag. Es ist kalt und nass. Gestern war es noch schön. Was nicht so schön war, war die Deutscharbeit. Nach dem Friederike mit uns „gechillt“ eine Doku über einen kubanischen Friseur (eigentliches Thema war Devise oder Bildung) angeschaut hat, machte Stefan jetzt ernst. Wir mussten von 14 bis 16:00 Uhr eine Charakterisierung über Figuren aus dem Roman Tschick schreiben (Bitte stellen Sie sich jetzt dramatische Musik vor). Zusätzlich wurde die Uhr von 13:00 Uhr auf 14:00 Uhr vorgestellt und wir hatten keine Mittagspause, um uns auszuruhen oder für die Arbeit zu lernen. Nun schrieben wir verzweifelt die Arbeit bei schlimmstem Wellengang (Vorsicht: Übertreibungen, wobei das ist noch untertrieben, es ist einfach nur überdramatisch und damit ist nicht der Wellengang, sondern der Text von Fredo gemeint. Anmerkung von Koko). Zur Belohnung bekamen wir von der Backschaft – bestehend aus Jasmin, Lara und Timana – tolle Muffins, gefüllt mit Nussnougatcreme. Am nächsten Tag gab es ein Gewitter und wir hatten Wache von 8:00 Uhr bis 12:00 Uhr. Falls es bis hier noch nicht klar ist, wir wurden nass. Während der Wache bargen wir unter der Leitung von Emil den Klüver.

So, jetzt, da ich so über die letzten Tage berichtet habe, befinden wir uns wieder im Hier und Jetzt. Das Jetzt zieht so schnell vorbei, dass das letzte Wort, was du gelesen hast schon Vergangenheit ist und das nächste noch Zukunft. Es ist ein so unbeschreiblich kurzer Moment in dem wir physisch leben. Doch geistig passiert es allzu oft, dass wir in der Vergangenheit schweben und über längst vergangene, schöne oder schlechte Momente nachdenken. Sie erscheinen besonders hier auf dem Schiff ganz kurz, wenn man viel Zeit zum Nachdenken hat. Dann wird versucht, sie solange wie möglich zu halten und zu hoffen, man könnte sie nochmals erleben. Es gibt auch Menschen, die leben viel in der Zukunft und warten vergeblich darauf, dass etwas Erwünschtes passiert. Doch beides ist sehr gefährlich, da man häufig dabei schöne Momente im Hier und jetzt verpasst. Man ärgert sich nur all zu oft darüber, dass man einen Moment verpasst hat oder die Zeit zu schnell vergeht. Das liegt häufig daran, dass der Moment nicht gelebt wurde, da man sich geistig woanders befand.

Ich denke nicht ohne Grund über so etwas nach, denn seit gestern hat der letzte Monat begonnen. Es fühlt sich auf der einen Seite so an, als wäre alles erst eine Woche her. Besonders, da wir wieder wie in der Biskaya in kälteren Gewässern sind. Auf der anderen Seite fühlt es sich wie Jahre an, da wir an so vielen verschiedenen Orten waren, die so unterschiedlich sind. Ein halbes Jahr, das muss man sich Mal auf der Zunge zergehen lassen. Die sieben Monate fühlten sich so unendlich an und jetzt ist es nur noch einer. Wir haben in ein paar Tagen schon Horta erreicht. Ich weiß noch, wie krass es sich angefühlt hat, als wir kurz davor waren, den Atlantik das erste Mal Richtung Karibik zu überqueren. Es war ein so komisches Gefühl, von allem so weit entfernt zu sein. Die Zeit auf See hat auch dabei geholfen, eine Auszeit von Corona zu nehmen und mit so vielen Leuten ohne Maske und Abstand etwas zu unternehmen. Deswegen wirkte es jedes Mal wie eine andere Welt, als wir an unseren Zielen ankamen und die Menschen wieder mit Corona kämpfen mussten. Ich wünsche allen ein schönes Wochenende und ich hoffe, ihr habt besseres Wetter als wir!
Fredo

P.S.:
Ich grüße meine Familie und Freunde. Ich freue mich schon, euch wieder zu sehen!
Hannes grüßt seine Familie und freut sich auf ein Wiedersehen in 29 Tagen!