Triebwerksschaden, Leben mit Dracula…und dann der Wal…!

Datum: 18. Mai 2019
Position: k. A.
Etmal: k. A
Wetter: k. A.
von Ernst

Mit dem heutigen Tag ist es genau eine Woche her, dass ich wieder zu Hause bin. Der Boden unter mir hat aufgehört zu schaukeln – zugleich schnappt der Alltag zu, wie ein hungriges Tier. Er will mich wiederhaben und es sieht ganz danach aus, als wird er der Gewinner sein. Ach ja, mein Name ist Ernst Hutsteiner. Ich durfte die Reise von Bermuda bis zu den Azoren begleiten. Verantwortlich war ich für die C-Wache.

Leben mit Dracula
Meine Kabine war die Kochs-Kammer (achtern an Steuerbord). Ein vergleichsweise großzügiger Raum mit nur zwei Kojen. Die meine war die obere, die Nr. 34. Vor hier aus konnte ich wunderbar durch das Bullauge nach draußen sehen. Wenn die Johnny etwas mehr Lage schob, wurde es manchmal auch von einer Welle überspült und das Wasser bot ein lustiges Spiel mit kleinen Strudeln. So als würde man gerade vor einer laufenden Waschmaschine sitzen.

Natürlich hatte die Kabine auch einen Nachteil: An ihrer Rückseite war die schwere Tür zur Proviantlast. So mussten die Mädels und Jungs von der Backschaft durch die Kochskammer, wenn sie Lebensmittel holen wollten. Teilweise geschah das in den frühen Morgenstunden. Die meisten davon bekam ich nicht mit. Mit viel Rücksichtahme, wie Katzen auf Samtpfoten, schlichen sich Köchinnen, Köche und vielleicht auch die eine oder andere Naschkatze durch den Raum. Und dann war da noch mein Kamerad Andreas. Mit ihm teilte ich besagte Kabine. Ein netter Kerl mit einem kleinen Haken: Er ist geborener Transylvanier. „Klar, dass Du die Wache von 0:00 – 4:00 haben möchtest!“, dachte ich mir. Heimlich holte ich mir eine Knolle Knoblauch aus der Kombüse, um sie mir fortan unter mein Kissen zu legen. Ein erstes Blutbild nach der Reise zeigte vollkommen normale Hämoglobin-Werte. Mit Andreas würde ich übrigens jederzeit wieder segeln.

Triebwerksschaden
Ca. 900 Seemeilen vor den Azoren: Flos Adlerauge hatte ihn entdeckt. Ein Riss im oberen Drittel des Großsegels! Das ist etwa so, als säßen Sie in einem Flugzeug mit mehreren Triebwerken, wissend, dass eines davon einen Schaden hat und Sie es abstellen müssen, um es nicht noch schlimmer zu machen. Gefährlich ist das nicht. Blöd aber, weil sie a) nicht mehr die volle Leistung haben und b) das Flugzeug anders trimmen müssen. So ist das auch auf einem Segelschiff. Es war in meiner Wache, als die Bedingungen ideal waren, um das 120 Quadratmeter große Segel (man stelle sich das in Wohnfläche vor!) wenigstens zum Teil abschlagen zu können. Erst dann konnten die Reparaturen beginnen. Ulli (1. Steuermann – der gerade die Wache an mich übergeben hatte) übernahm spontan meine Wache, um mich und einen Teil meines Teams für die Arbeiten frei zu stellen. Andere, die eigentlich Freiwache gehabt hätten, sprangen spontan ein, um den Regelbetreib aufrecht zu erhalten. Am Ende des Tages konnten wir unser Groß wieder klar melden. Ich war so stolz auf das, was wir in so kurzer Zeit geleistet hatten. Segeln = Teamwork!

Da bläst er!
Ein herrlicher Tag mit Sonnenschein, nur noch wenige Tage von den Azoren entfernt. Die Stimmung an diesem Nachmittag war gelöst, viele von uns genossen die freie Zeit an Deck. „Delfiiiiine!“, tönte es plötzlich. Ich ging nach vorne, denn dort spielten diese schönen Tiere mit unserer Bugwelle und es machte unglaublich Spaß deren ungetrübte Lebensfreude zu beobachten …. Rein in die Welle, nach hinten ausweichen, Schleife drehen und wieder rein in die Welle. Es wurden immer mehr. Zuletzt zählten wir über 30 Tiere. Auf 10 Uhr tauchte plötzlich, völlig aus dem Nichts, eine große graue Insel aus dem Wasser. Ein Wal! Er tauchte wieder ab, um danach auf etwa 11 Uhr wieder nach oben zu kommen, gefolgt von einer Wasserfontäne, welche mit großem Getöse ausgestoßen wurde. Beim nächsten Mal war er bereits auf der anderen Seite unseres Bugs. Dasselbe Spiel: Vor dem Auftauchen färbte sich das Wasser zunächst türkis, dann große, graue Insel, Fontäne und wieder weg. Michi (unser Meeresbiologe) legte sich nach dem dritten Mal fest: „Ein Blauwal!“.

Wow! Ich habe einen Blauwal in der freien Natur beobachten dürfen. Das ist etwa so wahrscheinlich wie ein Sechser im Lotto! Und wehe Michi, wenn das eine „Wallüge“ war ☺ So, nun zu Dir mein lieber Alltag: Du kannst gerne kommen. Kein Problem. Die Zeit auf der „Johnny“ die großartigen Menschen, das Leben an Bord, die gewonnenen Eindrücke und der Atlantik. Die bleiben.
Ernst