Paradies?

Datum: 6. Januar 2019
Position: 09°30,7´N, 078°42,1’W
Etmal: 19 nm
Wetter: Wasser 28 °C, Luft 28°C, Wind ENE 4 Bft.
von Flo

Es ist 23:00 Uhr. Ich bin ganz alleine in der Messe und höre irgendein Gurgeln und ganz viele verschiedene Maschinen und in der Kombüse ist noch unser Brotbäcker Phil aktiv. Während meiner heutigen Ankerwache haben wir übrigens mal geguckt, wie die ganzen Inseln um uns herum heißen: Dupwala, Olosicuidup und Guariadup. Zwei der Inseln durften wir heute besuchen. Auf der Insel, auf der ich war, wurden wir von einem netten Kuna Indianer empfangen und haben Kokosnüsse gekauft. Die wenigen Stunden auf der Insel haben sich angefühlt wie ein ganzer Tag. Es folgten viele, fast zu kitschige Eindrücke und ich würde fast sagen, dass wir Glück hatten, dass die Sonne uns nur durch ein paar Löcher in den vereinzelten Wolkenbergen Gute Nacht gesagt und keinen spektakulären Untergang zwischen Inseln und Meer hingelegt hat. Denn dann wäre ich gestorben, weil es so schön ist und ich hätte wohl geheult und alles für surreal erklärt, weil ich weiß, dass diese Inseln in 1, 2, 3, 4, 5-20 Jahren höchstwahrscheinlich nicht mehr existieren werden und diese Schönheit dann im Meer versinken wird.

Niko hat uns heute erzählt, dass bei seiner letzten HSHS-Reise noch Palmen auf dem in der Nähe zu sehenden Sandhügel, der damals eine Insel war, gestanden hätten. Und auch bei Johannas und meiner Inselumrundung mussten wir über einige umgekippte Palmen steigen. Sie hatten nicht genug Kraft, weil der steigende Meeresspiegel die Süßwasservorräte der Inseln verkleinert. Das Wasser hat ihnen außerdem wortwörtlich den Boden unter den Füßen weggeschwemmt, sodass sie keinen Halt mehr fanden. Und das ist nicht nur auf dieser Insel so, sondern auf allen, überall!!! Die Süßwasserkapazitäten der Inseln schwinden Jahr für Jahr, Tag für Tag. Das ist auch einer der Gründe, warum die Kunas zu allen Touribooten kommen, um sich Süwasser geben zu lassen: Weil sie selbst nicht genug haben. (Um ihnen Süßwasser abgeben zu können, sparen wir selbst übrigens gerade beim Süßwasserduschen mit Wasser. Aber ganz ehrlich: die Salzwasserdusche an Deck ist eh viel besser, weil man so lange, wie man will duschen kann, und immer einen tollen Blick in die Gegend hat, die hier, wie ich bereits erwähnte, wuuunderschön ist.). Umso trauriger, dass die Kunas nach 150 Jahren glücklichen Lebens auf ihren paradiesischen Inseln jetzt gezwungen sind, sie zu verlassen.

Wir haben auf den etwas bewohnteren Inseln so viele glücklich aussehende Menschen, vor allem Kinder, gesehen. Meinem Eindruck nach wollen die Kuna Yala eigentlich ihr unabhängiges Leben führen, ungestört vom Rest der Welt, aber es funktioniert scheinbar nicht. Auf mich wirkt es so, dass ihre Kultur unter den Einflüssen von außen leidet, gegen die sich die Kuna Yala nicht wehren können. Vermasseln wir ihnen ihr kleines Paradies?! Auch wenn die Kuna Yala sich klare Regeln zur Eingrenzung von Tourismus aufgestellt haben, so scheint der Tourismus auf vielen Inseln dennoch Einzug gehalten zu haben. Ob sie das wollen? Aber ihre sonstigen Einnahmemöglichkeiten werden ja auch immer geringer. Und ihre Palmen brauchen Wasser, Süßwasser.

Und an dieser Stelle pausiere ich diesen Gedankengang und berichte lieber von den Gedanken, die ich WÄHREND meiner Zeit auf der Insel im Kopf hatte. Ich dachte nämlich die ganze Zeit, dass wir uns in einem kleinen Paradies befanden…

…als ich mich mit Johanna, Bianca und Michi beim Schnorcheln inmitten eines Fischschwarms wiederfand, der aus Millionen kleiner Fische bestand und von abertausenden etwas größeren Fischen verfolgt wurde. Am Ende kamen drei große, richtig schwere Oschis an, vor denen wir uns so erschrocken haben, dass wir erst geschrien und dann gelacht haben und auftauchen mussten, weil Lachen unter Wasser sehr schwer ist.

….als wir ein Stück Schildkrötenpanzer, mehrere wunderschöne Muscheln, einen Arm von einer Krabbe, versteinerte Seesterne und leider viel Müll, unter anderem mehrere Flaschen Sekt, in denen sich schon Fischis eingenistet hatten, gefunden haben.

…als Johanna und ich mit Hängematten auf der Insel Schokicreme gefuttert haben.

…als wir nebeneinander auf einer Schaukel saßen, die nicht vor und zurückging, sondern sich im Kreis drehte, weil sie an einer am Strand stehenden Palme hing, und wir so einen Panorama-Rundumblick hatten.

…als wir am Strand ganz schnell drehten, sodass man nur noch den Himmel sah, bis wir wie Besoffene ins Wasser fielen.

…als es einfach schön war.

Blöd nur, dass das alles bald weg ist. Unsere Erinnerungen aber werden bleiben, wofür ich schon jetzt ziemlich dankbar bin. Und auch wenn ich den Tourismus etwas radikal kritisiert habe, sollten doch noch viele dort hinreisen, um den Inseln eine Art letzte Ehre zu erweisen und sich einmal anzugucken, was sie mit ihrem Flug in die Karibik nicht wirklich besser gemacht haben.

Ich hoffe, der Reisende macht sich dann ähnliche Gedanken wie ich hier während unseres Aufenthaltes. „Jeder muss wissen, worauf er bei einer Reise zu sehen hat und was seine Sache ist“ steht als Goethe-Zitat auf Claudis Deutsch/Spanisch-Reader. Ob ihr, als sie vor vielen Jahren bei HSHS schon einmal mitgefahren ist, ähnliche Gedanken zur Ambivalenz von Tourismus durch den Kopf gingen wie mir? Ich frage sie morgen mal. Jetzt gehe ich nämlich ins Bett, weil es halb eins ist und ich in fünf Stunden wieder aufstehen darf. Meine Wut ist jetzt auch wieder etwas weniger. Ich überleg mir noch, ob ich in meiner Koje oder draußen schlafen werde. Möglicherweise wache ich mit Blick auf die Cayos Coco Banderos auf. Gute Nacht ihr Lieben,
Flo.

P.S.: Ich schicke ganz viele Grüße und Bussis an meine Familie, also an meine Geschwister, meine Eltern, meine Großmütter, Tanten, Onkels und Cousins + Frida und Panka, an Mini, Zmart, Ida, Auau, Lilli, Isi (auch an deine Eltern und an die Juli), Lici, Viki und Richi und alle die da noch dazu gehören!