Ein Lehrer-Team mit ähnlich unterschiedlichen Abreise-Gedanken

Datum: 30. September bis 8. Oktober 2017
Position: (Noch) an verschiedenen Orten in Deutschland
Wetter: Sonnig bis stürmisch
Von: Martin, stellvertretend für Verena: Erich Horst, Christine und Katharina

Samstag, 30.09.: Vorletzter Samstag, bevor es los geht. Die Zeit vergeht wie im Flug und es stehen noch gefühlt tausend kleiner Dinge auf meiner To-Do-Liste, die zu kaufen oder zu erledigen sind. Zu allem Überfluss fallen einem auch immer wieder Dinge ein, die man eigentlich gar nicht mehr auf dem Schirm hatte und somit auch auf der Liste landen. So zum Beispiel die alte Digi-Cam von meinem Dad, die ich mitnehmen wollte, die allerdings irgend nen komischen Staubfleck auf der Linse hat und gereinigt gehört. Naja, jetzt nicht, soll sich Zukunfts-Martin drum kümmern. Jetzt stehen erstmal letzte Bestellungen an… Wäschesack, Moskitonetz, Kontaktlinsen, Wizzard und was man sonst noch alles brauchen kann. Die Chance ist allerdings relativ hoch, dass ich irgendwas vergessen habe. Hilft nichts, wird mir schon noch rechtzeitig einfallen.

Das wohlverdiente Ausschlafen, das gemütliche Frühstück, das Abarbeiten der E-Mails, die Bestellung und das Surfen im Internet führen dazu, dass ich unter anderem für eine vernünftige Playlist und sonstige Vorbereitungen für den Törn heute keine Zeit mehr habe und diese warten müssen. Heute steht ein letztes Mal Kicken mit den Jungs für meinen Heimatverein an. Also noch schnell eine Kleinigkeit essen und dann ab zum Sportplatz. Wir gewinnen sowohl mit der ersten als auch mit der zweiten Mannschaft und der Einstandsfeier für die neuen Spieler steht somit nichts mehr im Weg. Für mich ist es quasi eine Abschiedsfeier, da wir ja mit HSHS schon in weniger als zwei Wochen für über ein halbes Jahr ablegen. Die meisten Mitspieler sind absolut neidisch auf das, was vor mir liegt. Andere scheitern kläglich mit ihren plumpen Überredungsversuchen, dass ich HSHS canceln und lieber Fußball spielen soll. Keine Chance! Ich freu mich unfassbar auf die Erfahrung und die geile Zeit, die vor mir bzw. uns liegt. Mittlerweile so nah, aber immer noch kaum zu glauben. Es wird sicherlich auch anstrengende und schwierige Phasen geben, aber letztendlich bin ich absolut überzeugt, dass wir alle von dem Projekt profitieren und unter anderem viele neue Freunde gewinnen werden.
Martin

Ich bin neu in der Runde. Mein Name ist Erich Horst. Chefin hat mich vor ein paar Wochen engagiert, weil ihr alter Kuschelhund „Wauzi“ nach dreißig Jahren in den Ruhestand gehen möchte. „Noch eine Atlantiküberquerung“, sagt er, „das ist nichts mehr für mich.“ Chefin brauchte mich zur Unterstützung bei der Unterrichtsvorbereitung und den zahlreichen Impfterminen. Aber damit sind wir jetzt fertig, sagt sie. Dafür durfte ich sie im September zum ersten Mal auf die Roald Amundsen begleiten, zum Sicherheitstraining. Jetzt habe ich schon 0,24 Seemeilen in meinem Meilenbuch stehen, abgezeichnet von Kapitän „Zottel“. Er hat gewisse Ähnlichkeit mit mir. Die Menschen haben dort das ganze Wochenende mit Qualm gespielt und mit Feuerlöschschläuchen. Sie haben Sauerstoffflaschen von Pressluftflaschen unterschieden, Unterkühlte langsam erwärmt und Verletzte die Niedergänge hochgetragen, … naja, ich habe jetzt jedenfalls keine Angst mehr.

Während die Menschen Lecks abgedichtet und Personen aus dem Rigg geborgen haben, habe ich mich unter Deck mal genauer umgesehen. Es ist alles sehr gemütlich, aber nicht besonders groß. Wie man sein Gepäck für sechs Monate in so einem kleinen Schapp (so sagen sie hier für „Schrank“) unterbringen soll, ist mir ein Rätsel, aber das ist ja Chefins Problem. Was unterwegs wohl zuerst über Bord geht: warme Socken oder Schulbücher?

Dass ich überhaupt zu Wort komme, liegt übrigens nur daran, dass Chefin mit Halsschmerzen daniederliegt. Ich mochte ihr Gejammer über Klassenarbeiten und Zeugnisse und was sie alles noch bis zur Abreise erledigen muss, auch nicht mehr hören. Ihr kennt ja Lehrer ….

In den letzten Tagen habe ich an der Chefin übrigens interessante Beobachtungen gemacht. Normalerweise hat Chefin (wie alle Lehrer) immer etwas zu sagen. Wenn man sie jetzt aber fragt: „Na, freust du dich schon?“, dann stammelt sie nur hilflos irgendetwas vor sich hin. Ganz verrückt reagiert sie auf die harmlose Frage: „Sag mal, wann fährst du eigentlich los?“ Dann ballt sie nämlich die Fäuste und guckt ganz komisch. Ich gehe dann lieber in Deckung, so dass ich, obwohl ich diese Szene mehrmals täglich beobachte, nie genau weiß, wie der Fragesteller da wieder rauskommt. Die letzten (Schul-) Tage wird Chefin schon überstehen. Ich kümmere mich ja um sie, aber manchmal bringt sie mich zur Verzweiflung.
Erich Horst (für Verena)

Endlich Samstag. Erster Ferientaaagg … ausschlafen, lange frühstücken, keine Klausuren korrigieren, keine Noten mehr festlegen, keine Konferenzen…. Es ist….5.10Uhr…. lieber Körper, es sind Ferien!!! Wir könnten ausschlafen!!! Die wohlige Wärme des Bettes genießen!!! Nach ewigem Herumwälzen beschließe ich aufzustehen… schließlich gibt es noch tausend Dinge zu erledigen. Na gut, dann also ran ans Werk. Was sagt meine To-Do-Liste? Kisten packen, Wohnung übergabefein machen, Geburtstags- und Hochzeitsgeschenke organisieren, Klausuren erstellen, Rossmann und DM plündern, wasserabweisende Handschuhe finden, Post, Hose „für Gut“ kaufen, Versicherung, Reisepass …

Oh, das Telefon klingelt… und plötzlich ist es 16.10 Uhr. Hmmm…wie können zwei wirklich kurze Telefonate mit Freunden, ein kurzer Plausch mit Oma und eine ebenfalls ganz kurze Statusaktualisierung bei Facebook so lange dauern??? Meine To-Do-Liste blickt mich mahnend an. Um 19 Uhr soll ich bei Freundinnen sein. Letzter Mädelsabend. Um wenigstens ein wenig zu schaffen und mein Zimmer nicht mit all meinen Dingen vermieten zu müssen, wird für zwei Stunden der Turbogang eingelegt. Tatsächlich habe ich es am Ende schweißgebadet geschafft, die ersten zehn Umzugskartons zu packen, sie drei Stockwerke nach unten und schließlich über die schmale Kellertreppe in den Kellerraum zu bugsieren. Dank des Internets sind auch die ersten Geschenke für noch anstehenden Geburtstage und Hochzeiten organisiert.

Pünktlich um 19.10Uhr sitze ich bei meiner Freundin auf der Couch und das große ausführliche Erzählen über den Törn beginnt… und obwohl ich gefühlt zum 100sten Mal erzähle, was ich vorha-be, kribbelt es immer noch in meinem Bauch und langsam wird mir bewusst: Ich segle über den Atlantik… ich segle über sehr, sehr viel Wasser… Verrückte Wurst!
Christine

Martin, Verena, Katharina, Christine

Sonntag, der 08.10.2017
Nach einer (viel zu kurzen) Woche der „letzten Erledigungen“ sitze ich nun um 23:00 Uhr in meiner völlig leergeräumten und kahlen Wohnung, die ich mit Hilfe freundlich helfender Schüler- und Kollegen-Hände zwecks HSHS-Vorhaben vorübergehend auf den (von meiner Wohnung weitentfernten, aber wetterfesten ;-)) Dachboden der Hermann Lietz-Schule verfrachtet habe. Ich werde das ungute Gefühl nicht los, dass ich irgendetwas Wichtiges vergessen habe, einzupacken oder abschließend zu organisieren…

Letzte Korrekturen von Klassenarbeiten und Tests sowie Notenrückmeldungen an meine Schüler – erledigt. Unterrichtsübergaben – erledigt. Sperrmüll entsorgt – erledigt. Alle überlebensnotwendige (vor allem warme) Kleidung und Schuhwerk sowie wichtigen Unterrichtsmaterialien und Doku-mente kopiert und eingepackt – erledigt. Letzte Telefonate mit Freunden und Familie geführt – erledigt, usw. … Und während ich in Gedanken meine Pack- und Organisationsliste immer und immer wieder im Kopf durchgehe, wird mir so langsam aber sicher bewusst, dass in 11 Stunden meine Fähre von Spiekeroog nach Neuharlingersiel abfährt und damit für mich die HSHS-Reise beginnen wird: Morgen ist (für uns Lehrer) tatsächlich Einzug auf der Roald – es ist soweit: Das Abenteuer beginnt!

Insbesondere heute, aber auch schon die letzten Wochen zuvor wurde ich immer wieder nach meinen Vorstellungen, Erwartungen, Befürchtungen und den Dingen, die ich in den nächsten 6,5 Monaten vermissen werde bzw. auf die ich mich besonders freue, gefragt. Meine Antworten: Eigentliche keine wirklich konkreteren Vorstellungen und Erwartungen. Ich springe aufs Schiff, gucke, was anliegt und passiert, und versuche, das Beste daraus zu machen. Vermissen werde ich (ab und an ;-)) – neben meiner Familie und Freunden – „meine“ Lietz-Schüler und natürlich (insbesondere, wenn ich in der Karibik weile ;-)) „meine“ Lietz-Familie Aper! Darüber hinaus derweilen bestimmt auch zeitlich nicht limitierte, heiße Duschen; das ein oder andere Mal bestimmt auch einen Ort, an dem ich wirklich für mich allein sein kann. Freuen tue ich mich insbesondere auf die Zeit auf der Roald, das Segeln und damit die Seeetappen; auf die Gemeinschaft und Zusammenarbeit mit Schüler-Lehrer-Stammcrew an Bord, auf alle positiven Überraschungen sowie die zu meisternden Herausforderungen, nachdem sie gemeistert sind ;-); auf alles, was es unerwartet zu entdecken gilt – jetzt aber erst einmal auf nächsten Mittwoch, an dem ich endlich „meine“ neuen Schüler kennenlerne!!!
In diesem Sinne: Auf ein schönes Wiedersehen, bis in 6,5 Monaten – und Hallo, HSHS-Leben!
Katharina