Wieder auf der Osthalbkugel

Datum: 2. Mai 2017 (Tag 208)
Position: 50° 15,5′ N, 000° 00,0‘ W/E
Etmal: 148 nm
Wetter: Luft 13°C, 1020 hPa, sonnig, Wind N/E/ESE, 1-2 Bft.
von Micha

t_michaelGerade eben haben wir den Nullmeridian überquert. Somit befinden wir uns endlich wieder auf der „Osthalbkugel“! Da inzwischen schon alles gesagt wurde, was gesagt werden musste, und ich sowieso kein Mann der vielen Worte bin, möchte ich meinen letzten Tagesbericht dazu nutzen, um Danke zu sagen:

Danke liebe Schüler, dass ihr den Mut hattet, schon in so jungen Jahren die vertraute Heimat zu verlassen und in der Ferne das Abenteuer zu suchen! Dass wir – so oft wie möglich – auf Augenhöhe miteinander kommunizieren konnten! Und dass ihr mich mit all meinen Macken akzeptiert und respektiert habt! Ihr wart nicht nur tolle Schüler, sondern auch wunderbare Reisegefährten!

Danke liebe Lehrerkollegen, dass ich mit euch nicht nur über das Projekt, sondern über Gott und die Welt reden konnte! Dass wir gute, aber auch schlechte Zeiten miteinander gemeistert haben! Und dass wir uns trotz der Enge unserer Kammer (8 m²) immer noch leiden können!

Danke liebe Eltern, dass ihr uns Erwachsenen euer vollstes Vertrauen geschenkt habt, mit euren Kindern all die erlebten Abenteuer zu bestreiten und sie euch in ein paar Tagen ein ganzes Stück reifer und v.a. wohlauf wieder zu übergeben! Auch ohne eure finanzielle Unterstützung wäre diese Reise gar nicht erst möglich!

Danke HSHS, dass ihr euch vor über einem Jahr u.a. für mich entschieden habt! Damit habt ihr mir ein absolut abgefahrenes Lehrerdasein ermöglicht!

Danke Clipper und Stammcrew, dass ihr zum einen regelmäßig eure „Johnny“ für dieses Projekt entbehrt, zum anderen selbst viel Zeit und Geld opfert sowie Arbeit auf euch nehmt, um jungen Menschen das Segeln auf einem Traditionsschiff näher zu bringen. Hin und wieder hatten wir zwar Meinungsverschiedenheiten, v.a. in Fragen der Erziehung. Dennoch weiß ich eure ehrenamtliche (!) Arbeit sehr zu schätzen. Ein ganz besonderes Danke geht an Norbert und Uli, die einen Großteil der Reise begleitet und sehr viel von ihrem umfangreichen seemännischen Wissen mit uns geteilt haben!

Danke Mama, Papa, Claudia und Stoffi, dass ihr mich mit dem nötigen Ölzeug ausgestattet habt! Das Alte hätte es allerdings auch getan.

Tausend Dank liebe Theresa, dass du mir alle erdenklichen Freiheiten lässt, die ich brauche! Zu wissen, dass ich daheim schon sehnsüchtig erwartet werde, ist ein schönes Gefühl!
Und zu guter Letzt… Danke liebe Johnny, dass wir mit dir nicht untergegangen sind, sondern fast 14.000 Seemeilen(!!!) flott und sicher zurücklegen durften.
Vergelt‘s Gott, euer Michi

P.S.: Sollte ich jemanden vergessen haben, so sei selbstverständlich auch dir gedankt!

Die kleinen Dinge

Datum: 1. Mai 2017 (Tag 207)
Position: 49° 36,9’ N, 002° 54,7’ W
Etmal: 157 nm
Wetter: Luft 10°C, 1003 hPa, bedeckt, Wind WSW, 7 Bft.
von Manuel

t_manuelEs sind nicht nur die großen Dinge wie z.B. „kein Ozean mehr um mich rum“, die den Unterschied ausmachen werden. Sondern gerade auch Sachen wie…

Nicht mehr morgens um sieben mit einem fröhlichen „Guten Morgen! In einer halben Stunde gibt’s Frühstück!“ geweckt werden. Stattdessen macht es wieder „bi-bip-bi-bip-bi-bip“. Oder eben gar nichts. Und wenn gar nichts, dann erst recht nicht um sieben. Das, zumindest, hat seine Vorteile.

Die stille Minute zu Beginn jeder gemeinsamen Mahlzeit.
Die Schätzungen über die Gesamtdauer aller stillen Minuten der Reise variieren zwischen acht und zehn Stunden. Ich bin ein großer Freund der stillen Minute und habe vor, die Tradition zuhause fortzusetzen. Das geht nicht nur bei gemeinsamen Mahlzeiten, sondern auch allein.

Keine Steuermänner mehr, die sich bei Tisch kritisch über den Zustand der Butter, des Tees oder der Schlachterplatte äußern. Ganz einfach deshalb, weil an meinem Tisch in Zukunft eher wenige Steuermänner sitzen werden. Für die Butter, den Tee und die Schlachterplatte bin ich dann wieder selbst verantwortlich.

Meine Getränkebecher werden nicht mehr so entgegenkommend sein. Heute war es wirklich gemein. Die ganze Zeit hatte ich beim Frühstück meinen Kaffeebecher fest in der Hand. Dann flog ein Marmeladenglas auf mich zu, reaktionsschnell griff ich zu und fing ich es auf – und statt des Applauses des Publikums ergoss sich der Milchkaffee auf mich.

Morgens werde ich nicht mehr als erstes auf die Brücke gehen, um mir einen Überblick über Wetter, Position und Geschwindigkeit zu verschaffen. Stattdessen überprüfe ich Inhalt von Brottopf und Kühlschrank. Gut, das Wetter, dem werde ich auch weiterhin Beachtung schenken.

Mein Unterricht wird nur noch selten durch „All Hands“-Rufe unterbrochen werden. Und wenn, dann wird das nicht Amira sein, die da „All Hands an Deck!“ schreit, sondern ich selbst, weil ich Entzugserscheinungen habe. Dann wäre es schön, wenn meine Schüler, um mir eine Freude zu machen, krängungssimulierend von ihren Tischen und Stühlen rutschten und wir uns alle krampfhaft an irgendetwas festhielten, bis das Schulgebäude wieder gerade steht.

Der Duschkopf wird sich nicht mehr von mir wegdrehen, wenn ich mir gerade das Shampoo aus den Haaren waschen will. Stattdessen wird es der heimatliche Duschkopf unverrücklich, zuverlässig und ein bisschen langweilig auf meinen Kopf herabregnen lassen, bis ich ihn abdrehe.

Ich werde sie vermissen, die kleinen wie die großen Dinge. Einige mehr, einige weniger, nicht täglich und sofort, aber manchmal und irgendwann.
Manuel

P.S.: Viele Grüße an Annette, Hartmut, Klaus, Moni, Mladen: Unsere Ankunft wird sich möglicherweise verzögern. Ich gebe über meine neue Ankunftszeit Bescheid, sobald ich sie weiß. Abholung am Bahnhof und das in Aussicht gestellte Glas Wein wären, ob pünktlich oder verspätet, in jedem Fall schön.
Viele Grüße auch an die Q12 und viel Erfolg beim Mathe-Abitur!