Eine Tagesmeldung für die Welt

Datum: 13. April 2016
Position: 37°44,3°N, 025°39,4°W
Etmal: 106 nm
Wetter: Wasser 15°C, Luft 17°C, Wind 4 Bft.
von Stella

Eine Konversation mit Robin, heute 15:30 Uhr:
„Stella?!“
-„Hmm?“
„Du schreibst heute Tagesmeldung!“

Im Ausguck um 21:30 Uhr:
„Du wünschtest wohl, ich hätte deine Tagesmeldung vergessen.“
-„Nein Robin, ich wünschte, ich hätte sie nicht vergessen.“

Daran sieht man wohl, dass Hannah, meine Ersatzmutti hier an Bord und gleichzeitig meine beste Freundin, gerade krank ist. Sie hätte mich mit Sicherheit daran erinnert. Der heutige Tag war ein Tag wie jeder andere auch. Doch schaut man auf die Reise als Großes und Ganzes, so bilden diese kleinen bedeutungslosen Tage alle zusammen ein großes Abenteuer. Wenn ich abends in meiner Koje liege und mit den Wellen hin und her schaukle, so denke ich nach und überlege mir, wie banal es wohl aussehen würde, wenn man von außen diesen Bordalltag sehen würde. Wie seltsam sähe es wohl aus, wenn 30 Schüler abends in der Messe eines Segelschiffes, mitten auf dem Atlantik, irgendwo im nirgendwo einfach da sitzen und einen Film schauen? Wie merkwürdig würde es von außen betrachtet aussehen, wenn 42 Leute mit voll aufgedrehter Musik in der Kombüse stehen und tanzen?

Diese Reise formt und bildet einen. Ein jeder hat etwas neu gelernt und auch alle haben dazu etwas beigetragen. Und nein, ich meine jetzt nicht solche Sachen wie „die Ana ist so ein Mathe-Ass und dank ihr habe ich, auch wenn ich die Arbeit verhauen habe, es dennoch verstanden.“, nein ich meine Dinge, die man für das Leben lernt. Dinge, die man nicht in Büchern nachlesen kann, Erlebnisse und Eindrücke die man sammelt, um ein Stückchen weiser zu werden. Wir haben hier auf der Reise das Durchhalten gelernt. In der Biskaya war jedem Zweiten übel. Die Backschaft war wortwörtlich „zum kotzen“ und dennoch haben wir es überstanden. Wir haben gelernt, die kleinen Dinge im Leben zu schätzen. Ich denke nicht, dass ich mich zu Hause je so über ein Stück Obst gefreut hätte, wie auf dem Atlantiktörn.

Wale, die man im Ausguck sieht, sehen anders aus als die, die man mit einem Motorboot bei einer Whalewatchingtour beobachten kann. Die Delphine, portugiesischen Galeeren und auch die fliegenden Fische (die wir später im Biounterricht seziert hatten) habe ich noch nie aus einer solchen Nähe gesehen. Jeder Lehrer hat uns etwas mitgegeben. Es war vielleicht nicht immer der Stoff des Lehrplanes, aber ich bringe diese Reise auch nicht mit Schule in Verbindung, sondern viel mehr mit einem Abenteuer. Ich habe im Unterricht gelernt, dass, wenn ich heute etwas nicht kann, ich es dennoch morgen können kann, dass ich niemals aufhören sollte, etwas zu lernen, dass wir uns im Leben etwas trauen müssen, aus den Bahnen brechen und – ganz wichtig – dass unser Wissen, welches wir hier erlangt haben, uns verpflichtet.

In Costa Rica gab es eine Gastfamilie mit einem Kind ohne Arme, weil ihre Mutter auch noch in ihrer Schwangerschaft auf einer der Bananenplantagen arbeiten musste. Auf Kuba habe ich feststellen müssen, dass man im Sozialismus dennoch glücklich leben kann und auch Freundschaften schließen kann in einer Sprache, die wir erst zwei Monate lang gelernt haben. Diese Sachen mögen wahrscheinlich mal wieder ziemlich unwirklich klingen, es sind Dinge, die man eigentlich schon weiß, aber die ich erst jetzt realisiert habe. Diese Fahrt steckt aber auch voller kleiner und großer Glücksmomente, Momente, die man am liebsten in einem Marmeladenglas festhalten würde, um sie später in schlechten Zeiten wieder zu erleben.

Wir werden alle ein Stück weit anders wiederkommen, als wir gefahren sind, doch ich freue mich schon auf die Heimkehr. Darauf, alle geliebten Leute zuhause wieder in die Arme schließen zu können, auf einen Unterricht ohne Seegang, eine Koje, die immer gut riecht und Essen, welches mir zu jeder Tageszeit zur freien Verfügung steht. Ich weiß ganz genau, dass ich dieses Leben hier mit allen Strapazen vermissen werde. Ich werde das Gefluche aus der Kombüse genau so sehr vermissen, wie das tägliche Aufstehen zu den unmenschlichsten Uhrzeiten, aber alles hat sein Ende (nur die Wurst hat zwei ;)) und Gott sei Dank, haben wir dieses noch nicht erreicht. Bis bald,
Stella

Grüße: Ich wünsche Hannah eine gute Besserung, ich habe dich unendlich dolle lieb!

Auf ewig

Datum: 12. April 2016
Position: 37°44,3 N, 025°39,4 W
Etmal: 3 nm
Wetter: Wasser 15°C, Luft 16°C, Wind 4-5 Bft.
von Saskia

Als wir letztens durch die Stadt gegangen sind, hat Jona zu mir gesagt, dass es mittlerweile egal wäre, wo man hinsegelt, solange man dies mit den richtigen Leuten tut. Und glaubt mir, zu Anfang der Reise hätte niemand diese Aussage auch nur im geringsten für möglich gehalten. Wir waren von zu Hause getrennt, waren ständig seekrank und die meisten fragten sich: „Was tue ich hier eigentlich?“ Man hat den ganzen Törn lang die Tage gezählt bis man den nächsten Hafen erreicht hat und die meisten von uns hatten Freudentränen im Gesicht, als wir endlich Vigo erblickten.

Aber wie man so schön sagt: Der Weg ist das Ziel. Und das ist uns allen das erste Mal auf der Atlantiküberquerung bewusst geworden. Zum ersten Mal hat man nicht an den nächsten Hafen, sondern nur noch an die nächste coole Wache gedacht und es hätte keinen gestört, nein ganz im Gegenteil, wenn wir eine Woche länger gebraucht hätten. Obwohl ich es niemals für möglich gehalten hätte, ist die Zeit hier auf See eine der besten und wichtigsten Zeiten auf der ganzen Reise. Und genau das werde ich vermissen: Das Schiff, das Leben, die Freiheit. Ich werde es vermissen, jede Nacht zur Wache geweckt zu werden, ich werde es vermissen, Leute, denen man auf eine völlig neue Art und Weise vertraut ist, jeden Tag um mich herum zu haben, ich werde es vermissen, bei Sonnenuntergang bis hoch auf die Royals zu klettern, während unter einem die Delphine aus dem Wasser springen und ja, ich werde es sogar vermissen, jede Woche die Glocke zu polieren.

Ich glaube wir haben auf der Reise alle eine neue Art des Denkens und des Handelns gelernt, und es liegt bei jedem einzelnen von uns, inwiefern uns das auch zu Hause noch weiter voran treibt.

Als ich letztens mein Tagebuch durchgeblättert habe, habe ich einen Eintrag vom Anfang der Reise gefunden, in dem ich schreibe, dass hier alle total nett sind, aber man hier wahrscheinlich keine Freunde fürs Leben findet. Und ich glaube ich habe Recht, denn wenn ich in einem Monat von Bord gehen werde, werde ich nicht bloß Freunde zurücklassen, sondern eine Familie. Ich werde nicht von einem Schiff steigen, sondern ein Zuhause verlassen. Und so unterschiedlich wir auch alle sein mögen, ich glaube wir alle tragen dasselbe Gefühl in unserem Herzen. Ein Gefühl das uns verbindet. Auf ewig.
Saskia