Tag 206 bei HSHS – Oostende

Datum: 28. April 2016
Position: 51°13,5’N, 002°56,0’E
Etmal: 63 nm
Wetter: Wasser 10°C, Luft 9°C, Wind 3 Bft.
von Ole

Mein heutiger Tag begann damit, dass ich von Ana um 03:30 zur Wache geweckt wurde. Wenige Minuten später saßen schon einige in der Messe und uns wurde erzählt, dass es eine Überraschung von Susi gäbe: Während ihrer 0-4 Wache hatte man Schokoladenkuchen gebacken, von dem wir nun die andere Hälfte aufessen durften. @Susi: Der Kuchen war mega lecker :). Dann durften wir ein seltenes Lichterschauspiel beobachten: Wir fuhren durch eine Reede, wo um die 30 Schiffe vor Anker lagen. Immer mal wieder wurden wir von anderen Schiffen überholt, die uns durch die Enge ziemlich nahekamen und am Horizont blitzte ein Gewitter immer wieder auf.

Bei Sonnenaufgang wurde angefangen, die Segel hafenfein zu packen, doch leider machte uns das Wetter zwei Segel später einen Strich durch die Rechnung: Das Gewitter schien uns eingeholt zu haben. Als unsere Wache dann schließlich abgelöst wurde, brachten wir Judith noch ein Ständchen, da sie heute Geburtstag hatte. In der Messe stärkten wir uns sogleich mit Pfannkuchen und warteten das kommende All Hands zum Anlegen ab.

Die 8-12 Wache hatte bereits alle Leinen bereit gelegt und als wir dann durch die Hafeneinfahrt fuhren, stand die komplette Mannschaft an ihren Stationen. Als wir in die Schleuse einfuhren, sahen wir Patrick wieder. Er sorgte für viel Lächeln und fröhliches Winken und begrüßte uns kurz. Später, am Anleger, fingen wir in zwei Gruppen mit Großreinschiff und Segelpacken an. Unter Daniel E. wurde das Großreinschiff unter Deck gemacht, während einige wenige mit mir im Regen an Deck blieben, um die Segel zu packen, das Deck zu klarieren und feinzubrassen. Während Judith, Benji, Lisa und Sabine die Vorsegel ordentlich packten, fingen Bene, Jona, Tabea und Tobi am Vortopp mit der Bram an. Als gegen 12:00 Uhr alle Segel gepackt waren, genossen wir das Mittagessen. Der Nachmittag ging ähnlich weiter wie der Vormittag. Nun stand das Feinbrassen auf dem Plan und das Großreinschiff ging unverändert weiter… Als wir um 15:00 Uhr fertig waren, wurde die Wäsche an Deck (an Wurfleinen) aufgehängt, um im Sonnenschein zu trocknen. An dieser Stelle nochmal Danke an Daniel für das Organisieren unter Deck :).

Zum Abschluss möchte ich die Reise noch ein wenig zusammenfassen: Wir sind mit dem Wind in den Haaren und der Sonne im Gesicht über den Ozean gesegelt und haben gelernt, wie man als Gruppe funktioniert. Wir haben gelernt, wie wichtig Zusammenhalt sein kann, als bei schlechterem Wetter die Backschaft ersetzt werden musste. Wir haben mit eigenen Augen gesehen, wie stark das Leben der Menschen auf den San Blas Inseln von Stürmen abhängig sein kann. Wir haben hier ein zweites Zuhause gefunden und einige werden sicherlich auf die Roald zurückkehren. Leider haben wir auch gesehen, wie der Mensch sich und seine Umwelt nur des Profits wegen zerstört.

Wenn wir über unsere Heimat nachgedacht haben, so ist uns aufgefallen, wie schwer die Reise eigentlich zu beschreiben ist: Wir stehen selbstverständlich nachts auf, um vier Stunden Wache zu gehen, bei 10 Grad und strömendem Regen, gleichzeitig weht es mit Böen bis zu 50 kn, egal ob Tag oder Nacht. Wir klettern freiwillig bei solchem Wetter ins Rigg, um Segel zu bergen. Wenn man Pech hat, bahnt sich das Wasser am Ende einen Weg ins Innere und die Wache kann ewig werden. Gleichzeitig zaubert die Backschaft trotz aller Schaukelei ein gutes Essen auf den Tisch. Dann diese wunderschönen Momente auf der Royal, wenn man von dort den Sonnenaufgang beobachten kann… Oder bei leisem Plätschern im Ausguck die Sternschnuppen zählt. Saskia hat es schon einmal versucht zu beschreiben… Nicht der nächste Hafen ist das Ziel, sondern der Weg. Das sollte allen bewusst geworden sein. Oder wie Patrick die Situation beschrieben hat, wenn wir wiederkehren: Wir werden uns verändert haben, aber daheim ist nichts passiert…

Wie sollen wir diese Selbstverständlichkeit und diese Momente erklären? Man kann es nicht. Wir können die Reise so anschaulich wie möglich beschreiben, doch gleichzeitig ist diese Reise so tief in unserem Inneren, dass niemand es verstehen kann, wenn er es selbst nicht miterlebt hat. Wir sind an Bord so tief miteinander verwurzelt, dass wir das manchmal selbst nicht bemerken. Aber dieses Gefühl zu beschreiben: Das ist unmöglich. Ich wünsche meinem Vater alles Gute zum Geburtstag. Hab dich ganz doll lieb und hoffe, du hattest einen schönen Tag. Liebe Grüße,
Ole

Die Zeit zurück drehen?

Datum: 27. April 2016
Position: 51°00,1’N, 001°39,2’E
Etmal: 76 nm
Wetter: Wasser 10°C, Luft 9,5°C, Wind 4-5 Bft.
von Melinda

Die Tage streichen davon und irgendwie habe ich das Gefühl, hinterherlaufen zu müssen und gleichzeitig die Zeit zu stoppen und dann wird mir immer wieder aufs Neue klar, dass diese Reise bald ihr Ende gefunden hat, die Zeit noch nie aufzuhalten war und plötzlich ist man total überfordert und fragt sich, ob man wirklich alles aus diesen 7 Monaten herausgeholt hat.

Neulich haben wir in unserer Lernphase eine Reflexionseinheit gehabt mit der Intention, eine Timeline von der ganzen High Seas Zeit zu erstellen. Wie viele Seiten brauche ich? Mhhh… ich glaube drei! Falsch gedacht! Ich bin bei den Bermudas angelangt und habe bereits mit meiner sechsten Seite angefangen. Meine Timeline sieht aus wie ein einziges Chaos ohne jegliche Struktur und ohne roten Faden, aber ich habe gemerkt, dass es doch tausend kleine Erlebnisse gibt, die ich durchlebt habe, die ich schon wieder total vergessen habe, da sie am Anfang der Reise geschehen sind. Irgendwelche Witze, Abende, Weckeinheiten etc. Plötzlich kommt alles hoch und diese großen Landaufenthalte wie Costa Rica teilen sich in tausend kleine Dinge, die einen an diese tolle Zeit erinnern und in deiner Timeline steht nicht ganz groß „COSTA RICA-Landgang“, sondern dass man auf der Expi aus der Hängematte gefallen ist.

Ihr müsst Euch vorstellen, dass diese letzen Tage auf der Roald ein totales Gefühlschaos erzeugen und man mit dem Erstellen dieser Timeline erst merkt, wie viel man eigentlich erlebt hat. Gleichzeitig aber denke ich an so kleine Momente zurück und werfe mir immer wieder vor, die Zeit nicht ausgiebig genutzt zu haben. Landgänge, die man ausfallen lassen hat, weil man zu müde war?! in Kuba?! „Nein, ich gehe nicht ins Wasser – mir ist zu kalt!“ Auf den Bahamas?! Rumzusitzen und zuzuschauen während wir in einem afrikanischen Dorf in Kuba die Götter tanzen sehen, anstatt mitzutanzen?! Nicht ins Rigg zu gehen, weil einem das Wetter zu schlecht und schauklig war?! In der Karibik auf ein Schwimmabenteuer zu einer unbewohnten Insel zu verzichten, weil man Angst vor gefährlichen Tieren (in meinem Fall) gehabt hat?! Auf ein leckeres Essen in Mexico verzichten, weil es einem zu teuer war und tausend Dinge, die man nicht getan hat, weil man zu faul war!

Jetzt befinden wir uns mitten im kalten Europa auf See mit Nachtwachen um die 6 Grad und ich denke immer wieder darüber nach, dass ich höchstwahrscheinlich nie wieder nach Costa Rica oder Kuba kommen werde und somit diese kleinen Dingen einfach weg, spurlos verschwunden sind und einem einfach nur die Erinnerungen bleiben von den Tagen, die man wirklich gelebt hat und die Tage, die man nicht genutzt hat, mit der Zeit in den Erinnerungen verweilen werden und einfach nicht mehr da sind.
Melli

P.S.: Ich grüße ganz herzlich Onkel Hubertus und Onkel Poppel! Zudem grüße ich meine kleine Schwester und möchte ihr den Tipp auf den Weg geben, wenn sie auch diese Reise wie ich antreten wird, jeden Tag zu nutzen und, auch wenn du kotzend über dem Schanzkleid hängst, an alle Momente zurück denkst, die für dich diese Reise geprägt haben! Mami und Papi, bald bin ich wieder da und ich kann es kaum erwarten euch in Kiel von der Roald aus zu sehen! Liebe Grüße auch an den kleinen Mucki!