Zum Glück hatte ich nie alles

Datum: 24. April 2016
Position: 49°51,8’N, 002°30,4’W
Etmal: 129 nm
Wetter: Wasser 10°C, Luft 11,5°C, Wind 6 Bft.
von Jona

Pünktlich zum Wachwechsel um 0 Uhr wurde es schlagartig ruhig, nach tagelangem Maschinieren kehrte aufgrund des von Ost nach Nord gedrehten Windes endlich wieder Ruhe an Deck ein. Nur noch das Rauschen des Meeres, Flackern der Segel und Wehen des Windes war zu hören. Als kleine Überraschung stürmten wir in der Geisterstunde die Lehrerkammer und gratulierten Robin mit einem kurzem Ständchen zu seinem Geburtstag. Svenja und Markus, welche bereits schliefen, waren natürlich auch sehr erfreut über unseren Besuch. Mit Hilfe von starkem Strom schossen wir mit für die Roald fantastischen 8,6 Knoten Höchstgeschwindigkeit in den englischen Kanal. Am Mittag verkündete Karin, unsere Kapitänin, frohe Botschaft. In wenigen Stunden würden wir vor der kleinen englischen Insel Alderney ankern und an Land gehen können. Wenig später betraten wir eine ruhige, hübsche Insel mit sehr offenen und freundlichen (und leicht angeschwipsten) Bewohnern. Im kleinen Dorfzentrum aßen wir lecker asiatisch zu Abend und versteckten uns vor der ungewohnten Kälte. Alderney ist wirklich eine süße kleine Insel, wo es sich als zur Ruhe Gesetzter bestimmt gut leben lässt, aber bis dahin dauert´s zum Glück noch ein bisschen bei mir.

Das war der heutige Tag in Kurzform, nun würde ich allerdings gerne zum eigentlichen Thema meiner Tagesmeldung kommen, es geht um eine große Vielzahl an tollen Erlebnissen in der Kindheit, und deren Vor- beziehungsweise Nachteile. Im Laufe dieser Reise ist mir des Öfteren aufgefallen wie viel manche Mitschüler schon erlebt, gemacht und von der Welt gesehen haben. Auf den ersten Blick scheint es beneidenswert, doch das ist es nicht. Vor wenigen Jahren lag ich meinem Vater in den Ohren, dass ich die Skiferien wieder im riesigen, toll gelegenen Skigebiet „Val Thorens“ verbringen wolle, anstatt in ein kleineres Skigebiet mir weniger Liften und kürzeren Pisten zu fahren. Er erklärte mir, dass es gar nicht gut sei, wenn ich von klein auf das „Ultimative“, dass „Beste“ bekommen würde. Worauf solle ich mich denn dann noch freuen können? Wenn ich mit 16 die Welt gesehen hätte, die neuste Technik hätte und in dem schönstem Haus leben würde, was hätte ich dann noch für Ziele, die mich zum Arbeiten, zum zielstrebig sein motivieren würden?

Bis vor kurzem konnte ich seine Perspektive nicht nachvollziehen. Ich erklärte ihn für doof und geizig. Heute bin ich meinen Eltern dankbar. Danke, ihr beiden, dass ihr mir nicht von klein auf die Welt zu Füßen gelegt habt, danke, dass ihr mir Sachen übrig gelassen habt, die ich anstreben kann. Ich habe auf dieser Reise viele Dinge zum ersten Mal gesehen und mich von ihnen faszinieren lassen, dies gelingt anderen Leuten leider nicht mehr, da sie für ihr Alter schon „zu viel“ gesehen haben. Wie begeistert ich doch war, als ich anstatt im Mittelmeer zum ersten Mal in der Karibik geschnorchelt habe, Schildkröten, Korallenfische und Rochen gesehen habe. „Flaschentauchen find ich viel besser, schnorcheln ist doch langweilig, da sieht man ja gar nicht alles“ hörte ich von hinter mir. Ich begann zu lächeln und war froh, mich noch an solchen „kleineren“ Dinge erfreuen zu können.
Jona

Grüße: Trixi grüßt Astrid im Vereinigten Königreich aus dem Hafen von Alderney
Mike gruesst Karin, Cora & El Greco